Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
die Feuer der Wolllust zu entfachen. Doch eine tiefe Traurigkeit mischt sich in seine Freude, denn er weiß, dass der Sieg des Kommissars nicht von Dauer sein wird: Mehrere englische und amerikanische Kriegsschiffe sind bereits unterwegs nach China, und wie ein Krieg ausgehen wird, darüber kann kaum ein Zweifel bestehen. Charlie macht sich solche Sorgen, dass er einen Brief an Captain Elliott geschrieben hat. Es ist ein wunderbares Schriftstück, finde ich, und als eingefleischter Kopist konnte ich mich nicht enthalten, einige Passagen daraus abzuschreiben. Ich lege sie diesem Brief bei.
    Charlie ist oft furchtbar niedergeschlagen, weil er glaubt, dass wir einer Katastrophe entgegengehen. Ob das so ist, weiß ich nicht – und es kümmert mich auch nicht, um ehrlich zu sein. Für mich ist dies ein Moment, den man genießen und feiern sollte, denn es geschieht auf dieser Welt ja nicht oft, dass einige wenige gute Menschen die gegen sie aufgebotenen Kräfte besiegen, nicht wahr, liebe Paggli?
    Aber ich komme wieder einmal vom Hundertsten ins Tausendste – ein altes Laster von mir. Ich kann diesen Brief jedoch nicht beenden, ohne noch etwas höchst Seltsames zu erwähnen, was letzte Woche passiert ist.
    Eines Morgens lag ein Brief auf unserer Türschwelle, in einem leuchtend roten Umschlag, wie er in China für Einladungen verwendet wird. Der Brief war an mich adressiert und auf Englisch geschrieben, und der Absender war niemand anders als Mr. Chan (oder Ah Fey oder wie immer man möchte).
    »Lieber Mr. Chinnery«, stand darin, »ich musste dringender Geschäfte wegen die Stadt verlassen und weiß nicht, wann ich zurückkommen werde. Das ist schade, denn ich hatte einige schöne Blumen für Sie zusammengestellt. Sie sollten jedoch wissen, dass die Goldkamelie nicht darunter war. Denn diese Pflanze GIBT ES NICHT . Sie ist eine Erfindung von Mr. William Kerr. Wie bei so vielem, was man sich von China erzählt, handelt es sich um eine TÄUSCHUNG . Mr. Kerr hat sie sich ausgedacht, um mehr Geld von seinen Förderern zu bekommen, das ist alles. Die Bilder hat ein Maler namens Alantsae angefertigt, den Mr. Kerr in die botanische Malerei eingeführt hatte. Ich weiß das deshalb, weil ich Diener und Gärtner der Familie war; Alantsaes Mutter hatte mich an Mr. Kerr vermittelt. Ich hätte gern das Vergnügen gehabt, dies Mr. Penrose persönlich mitzuteilen, aber ich weiß nicht, ob das nun noch möglich ist.
    Leben Sie wohl. Lenny Chan (Lynchong).«
    Offen gestanden, liebe Paggli, weiß ich nicht, was ich davon halten soll, und ich werde auch nicht versuchen, es herauszufinden. Das Ganze ist höchst merkwürdig – wenn auch vielleicht nicht für hiesige Verhältnisse.
    Blumen und Opium, Opium und Blumen!
    Seltsam, dass diese Stadt, die so viel vom Bösen der Welt in sich aufgenommen hat, im Gegenzug so viel Schönheit gespendet hat. Wenn ich Deine Briefe lese, denke ich mit Staunen an all die Blumen, die sie in die Welt hinausgeschickt hat: Chrysanthemen, Päonien, Tigerlilien, Glyzinien, Rhododendren, Azaleen, Astern, Gardenien, Begonien, Kamelien, Hortensien, Primeln, Himmelsbambus, eine Wacholderart, eine Zypressenart, kletternde Teerosen und mehrfach blühende Rosen – und viele andere mehr. Stünde es in meiner Macht, würde ich alle Gärtner der Welt aufrufen, beim Pflanzen dieser Gewächse daran zu denken, dass sie alle dank dieser einen Stadt in ihre Gärten kamen, dieser übervölkerten, übel riechenden, lärmenden, ausschweifenden Stadt, die wir Kanton nennen.
    Irgendwann wird alles andere vergessen sein: Fanqui-Town und seine Freundschaften, das Opium und die Blumenboote, vielleicht sogar die Bilder (denn ich bezweifle, dass jemand diese Bilder – und ihre Maler – je wieder so lieben wird wie ich; es ist ja eine Bastardkunst, weder ganz chinesisch noch europäisch, und deshalb wird sie vielen missfallen).
    Aber wenn alles andere vergessen ist – die Blumen werden bleiben, nicht wahr, liebe Paggli?
    Die Blumen Kantons sind unsterblich und werden ewig blühen.
    An Charles Elliott Esq., usw. usw.
    Seit nahezu vierzig Jahren treiben britische Kaufleute unter Führung der Ostindien-Kompanie ihren Handel unter Missachtung der höchsten Gesetze und der besten Interessen des chinesischen Reichs. Sie gehen dabei so weit, Chinas Währung zu destabilisieren, seine Beamten zu bestechen und unzählige Menschen zugrunde zu richten. Dieser Handel wird in der Politik des Landes mit Peinlichkeiten und bösen Vorzeichen in

Weitere Kostenlose Bücher