Der rauchblaue Fluss (German Edition)
jemandem, der mir behilflich sein könnte.«
Der Mann, den Fitcher im Sinn hatte, war ein englischer Maler, der schon seit vielen Jahren in Südchina lebte. Angeblich war er außerordentlich kenntnisreich und verfügte über beste Beziehungen. Fitcher wollte ihn bei der ersten Gelegenheit in Macao aufsuchen.
»Und wie ist sein Name, Sir?«
»Chinnery. George Chinnery.«
»Ah.«
Paulette hatte sofort aufgehorcht, fragte aber so beiläufig wie möglich: »In der Tat, Sir? Und wie haben Sie von ihm gehört?«
»Von jemandem, der mit ihm befreundet ist … «
Der Name sei ihm von einem Stammkunden seiner Baumschule in Falmouth genannt worden, sagte Fitcher, einem Porträtmaler namens James Hobhouse, der Chinnery in seiner Jugend gekannt hatte. Der Maler habe über ein Jahrzehnt in Südchina gelebt, hatte Mr. Hobhouse gesagt, und sei dem Vernehmen nach mit den Malern von Macao und Kanton gut bekannt.
Hobhouse hatte Chinnery an der Royal Academy kennengelernt, wo sie zur gleichen Zeit wie J. M. W. Turner studiert hatten. Chinnery habe damals als ebenso genialer Maler gegolten, sei aber für seine extremen Stimmungsschwankungen bekannt gewesen: Eigenwillig und geistreich, ein Freund amouröser und extravaganter Vergnügungen, sei er bald überschäumender Laune, bald zutiefst niedergeschlagen gewesen. Nichts davon sei in seiner Sippe ungewöhnlich, hatte Mr. Hobhouse hinzugefügt, die Chinnerys seien eine Familie, in der außergewöhnliche Begabungen anscheinend oft mit seltsamem und ausschweifendem Verhalten einhergingen.
Der Maler hatte offenbar eine besonders große Portion des Familienerbes abbekommen. Die Aussicht auf eine glänzende Laufbahn hielt ihn nicht in London. Er ging nach Irland und heiratete dort wie so mancher nichtsnutzige junge Mann vor ihm die Tochter seines Vermieters. Sie gebar ihm in rascher Folge zwei Kinder, und das war womöglich eine zu starke Dosis Familienleben für seine flatterhafte Natur. Jedenfalls nahm er abermals Reißaus und überließ seine Frau mit den beiden Kindern sich selbst. Sein Ziel war diesmal Madras, wo sein Bruder lebte. Nach fünf Jahren in dieser Stadt zog er nach Bengalen weiter und ließ sich schließlich in Kalkutta nieder. Dort, in der Hauptstadt Britisch-Indiens, feierte er enorme Erfolge und galt allgemein als der größte englische Maler des Fernen Ostens. Als sich seine Triumphe bis nach England herumsprachen, beschloss seine Familie, zu ihm nach Indien zu ziehen – zuerst seine Tochter Matilda, die er als Kind zum letzten Mal gesehen hatte, die aber jetzt eine junge Frau war, dann seine glücklose Gattin Marianne und schließlich sein Sohn John, der sich Hoffnungen auf eine Laufbahn beim Militär machte. Doch diese Unternehmungen standen unter keinem guten Stern. Innerhalb eines Jahres nach seiner Ankunft erlag John einem tropischen Fieber. Der Verlust warf Chinnery völlig aus der Bahn und brachte ihn derart gegen seine Frau auf, dass ihm ihr bloßer Anblick unerträglich wurde. Wieder einmal ergriff er die Flucht und entfernte sich so weit wie möglich – nach Macao, einer Stadt, die, so sagten jedenfalls Witzbolde, den Vorzug hatte, dass er, sollte seine Frau ihn weiter verfolgen, jederzeit nach Kanton flüchten konnte, wo er vor allen ausländischen Frauen sicher war.
In Südchina, sagte Mr. Hobhouse, habe sein alter Freund anscheinend eine Nische gefunden, die ihm zusagte, denn er war dort die letzten dreizehn Jahre geblieben, für seine Verhältnisse eine Ewigkeit. Jetzt, vierundsechzig Jahre alt und vor ehelicher Verfolgung sicher, schien er sich wohlzufühlen in der Gesellschaft von Kapitänen, Kaufleuten, Opiumhändlern und anderen Reisenden, die in Kanton Station machten. Diese wiederum schätzten sein Werk offenbar sehr: Er bekam so zahlreiche und so lukrative Aufträge, dass er, um die Nachfrage befriedigen zu können, angeblich sogar ein Atelier eingerichtet hatte, in dem er seine Dienerschaft in seiner Malmethode unterrichtete.
Litt Chinnery darunter, dass er, der einst mit Romney, Raeburn und Hoppner in einem Atemzug genannt worden war, so weit weg von den Salons Europas sein Dasein fristete, in einer kunstfernen Gegend, wo er eine Kundschaft aus ausgemachten Philistern bedienen musste? Dass er vorgab, gegen solche Anfechtungen gefeit zu sein, versteht sich von selbst, gemunkelt wurde jedoch, die Tatsache, dass man sein Werk in Londoner Kunstkreisen nicht zur Kenntnis nahm, habe ihn so verbittert, dass er sich dem Opium ergeben habe. Ob
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