Der rauchblaue Fluss (German Edition)
das nur der übliche Klatsch war oder nicht, dazu wollte Mr. Hobhouse nicht Stellung nehmen, doch äußerte er immerhin die Hoffnung, dass Fitcher sich erkundigen und nach seiner Rückkehr in die Heimat etwas Licht in die Angelegenheit bringen werde.
Paulette hörte sich das alles schweigend an und hütete sich, etwas zu tun oder zu sagen, woraus man hätte schließen können, dass sie irgendetwas über den Künstler oder seine Laufbahn wusste. In Wahrheit war ihr der Name Chinnery jedoch alles andere als unbekannt. Zumindest in einem Punkt war sie über das Leben des Malers weitaus besser unterrichtet als Fitcher: was nämlich seine andere Familie anging – die beiden Söhne, die er während seines zwölfjährigen Aufenthalts in Kalkutta mit seiner bengalischen Geliebten Sundari gezeugt hatte.
Paulettes Bekanntschaft mit George Chinnerys »illegitimen« Söhnen hatte sich aus der zufälligen Beziehung zwischen Sundari und ihrer geliebten Kinderfrau Tantima ergeben. Tantima war Jodus Mutter und hatte sich um Paulette gekümmert, seit sie ein kleines Kind gewesen war. Sie stammte aus demselben Dorf am Ufer des Hugli wie Sundari. Die beiden Frauen erneuerten in Kalkutta die Bindung aus ihrer Kindheit, als sie feststellten, dass jede von ihnen dem Haushalt eines unkonventionellen und leicht verwirrten Sahibs vorstand. Doch hier endeten die Gemeinsamkeiten auch schon, denn Paulettes Vater, Pierre Lambert, war immer eine Art Außenseiter in der Gesellschaft der Weißen gewesen und lebte als Hilfskurator des botanischen Gartens in äußerst bescheidenen Verhältnissen. George Chinnery hingegen hatte in Kalkutta Unsummen verdient, und sein Haushalt war genauso chuck-muck wie jeder andere in der Stadt, mit Armeen von Dienern, die auf den Fluren ihre Rundgänge machten, und Scharen von Stallburschen, und was die Küche anging, so war es schon vorgekommen, dass in einer einzigen Woche hundert Sicca-Rupien für sherbets und syllabubs ausgegeben wurden …
Als hingebungsvoller Liebhaber überschüttete Chinnery seine Sundari mit Luxusgütern und ließ ihr sogar ein eigenes kleines Haus auf seinem Grundstück bauen, das sie mit den beiden gemeinsamen Söhnen bewohnte. Außerdem hatte sie ihre eigene kleine Dienerschaft: mehrere Ayahs und Khidmatgars und sogar einen paan-Macher, der nichts anderes zu tun hatte, als Betelblätter nach ihren Wünschen zu falten. Dieses Arrangement behagte beiden – ihr, weil es ihr die Möglichkeit gab, nach ihren Vorstellungen zu essen und zu leben, und ihm, weil es bedeutete, dass seine kleine Geliebte jederzeit zur Verfügung stand, aber auch aus dem Weg war, wenn Sahibs und Madams dem Meister ihre Aufwartung machten.
Sundari war selbst eine recht farbenfrohe Figur und früher einmal berühmt gewesen: Die Tochter eines Dorftrommlers hatte sich als Sängerin und Tänzerin einen Namen gemacht. Dadurch war Mr. Chinnery auf sie aufmerksam geworden; er hatte eine Vorstellung von ihr besucht und sie danach als bezahltes Modell beschäftigt. Als sie von ihm schwanger wurde, trat sie nicht mehr auf, schwelgte in ihrem neuen Luxusleben und schmückte sich mit teuren Kleidern und ausgefallenen Juwelen. In ihrer besten Zeit nahm sie sich sogar heraus, Tantima gegenüber die Dame herauszukehren und über die Enge und die ärmlichen Verhältnisse im Hause Lambert die Nase zu rümpfen.
Doch das alles änderte sich von Grund auf, als bekannt wurde, dass die andere Familie des Malers schon bald in Kalkutta aufkreuzen würde. Wie viele andere Bohemiens war Chinnery in mancher Hinsicht ausgesprochen konventionell. Der Gedanke, seine Frau und seine Kinder könnten von seiner bengalischen Geliebten und deren Kindern erfahren, versetzte ihn in Panik. Die süße kleine Gespielin wurde plötzlich zum Klotz am Bein: Sie und ihre beiden Söhne wurden kurzerhand aus ihrem Haus vertrieben und in ein Mietshaus in Kidderpore verbannt, wo ein Khidmatgar sie einmal im Monat aufsuchte und ihnen Geld brachte.
Natürlich ließ sich niemand durch dieses Arrangement täuschen, denn unter den Sahibs der Stadt war Mr. Chinnerys Privatleben mindestens so interessant wie der Börsenkurs des Opiums. Marianne Chinnery hatte sehr bald von der zweiten Familie ihres Mannes erfahren und anständigerweise sichergestellt, dass die drei versorgt wurden und ihr Mann seinen Pflichten ihnen gegenüber nachkam. Sie hatte sich sogar darum gekümmert, dass die beiden kleinen Jungen getauft wurden, auf die Namen Henry Collins Chinnery
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