Der rauchblaue Fluss (German Edition)
mitbekam, erfuhr sie aus gelegentlichen Bemerkungen Tantimas: Zwei Jahre später wurde Sundari krank und Khoka, der ältere Bruder, als persönlicher Emissär des Nawab von Murshidabad nach England geschickt.
In Kalkutta sich selbst überlassen, benutzte Robin seine Begabung dazu, einen Skandal auszulösen: Er fing an, »Chinnerys« zu fälschen. Er war mit Stil und Arbeitstechniken seines Vaters so vertraut, dass es kein großes Kunststück für ihn war, Bilder in derselben Manier zu malen, und er konnte mehrere davon zu stolzen Preisen an den Mann bringen – mit der Behauptung, es handle sich um Werke, die sein Vater zurückgelassen habe. Irgendwann kam der Betrug ans Licht, und statt sich in Indien einer Gefängnisstrafe auszusetzen, folgte Robin dem Beispiel seines Onkels William und ging außer Landes. Gerüchten zufolge hatte er sich zu seinem Vater geflüchtet, doch wohin genau er sich abgesetzt hatte, wusste Paulette nicht. Erst als sie von Mr. Penrose erfuhr, dass George Chinnery sich in Macao niedergelassen hatte, kam ihr der Gedanke, dass sich vermutlich auch Robin dort aufhielt – was wiederum bedeutete, dass sie ihm durchaus begegnen konnte, falls sie Mr. Penrose einmal zum Haus des Malers begleitete. Angesichts der Umstände ihres letzten Zusammentreffens konnte sie allerdings die Möglichkeit nicht ausschließen, dass er einen Weg finden würde, sich an ihr zu rächen.
Zwar hegte sie nach wie vor die herzlichsten Gefühle für Robin und hatte das Ende ihrer Freundschaft oft bedauert, aber sie wusste auch, dass er eine gehässige, klatschsüchtige Seite hatte und ihm durchaus zuzutrauen war, dass er Geschichten erfand, die eine Kluft zwischen ihr und Fitcher aufreißen konnten. Aufgrund all dieser Überlegungen ließ sie den Augenblick vorübergehen, in dem sie mit Fitcher offen über ihre Verbindung zu Robin hätte sprechen können. Etwas anderes kam zur Sprache, und die Gelegenheit war vorüber.
Auf Bahrams Drängen blieben sowohl Nil als auch Ah Fatt bei ihm, während die Instandsetzung und Renovierung der Anahita abgeschlossen wurde. Jeder hatte eine Kabine für sich – ein fast unvorstellbarer Luxus nach den Entbehrungen der vielen Monate, die hinter ihnen lagen. Tag und Nacht wurden sie mit Speisen aller Art verwöhnt. Jeden Morgen beim Frühstück ließ Bahram seinen Koch kommen – einen dunklen Hünen mit polierter Glatze und muskulösen Armen – und beratschlagte mit ihm, was seinem Patensohn zum Mittag- und Abendessen vorgesetzt werden sollte. Jede Mahlzeit war ein Festschmaus anderer Art, bald Parsi, mit Hammel-dhansak und braunem Reis, Gumbo mit Fischrogen, in Bananenblättern gedünstete Fischfilets, bald goanisch, mit scharfen Krabbenfleischbällchen, Xacuti-Hähnchen und Garnelen-Xeque-Xeques, bald ostindisch, mit Hammel-und-Kürbis-Curry und geschmortem Schweinefleisch.
Doch ihre Lage war nicht durchweg komfortabel: Nil musste weiterhin so tun, als hätten er und Ah Fatt sich in Singapur zufällig kennengelernt, und er musste auf der Hut sein, um nicht zu verraten, dass er wusste, in welcher Beziehung die beiden zueinander standen. Das war nicht immer leicht, denn manchmal hatte Bahram selbst Mühe, nicht aus der Patenonkelrolle zu fallen. Da er von Natur aus spontan und herzlich war, nahm er Ah Fatt manchmal ganz plötzlich in die Arme und drückte ihn, oder er nannte ihn »beta« oder »dikra« und häufte ihm seinen Teller voll.
Dass Ah Fatt auf solche Bekundungen der Zuneigung oft zurückhaltend und manchmal sogar unwirsch reagierte, schien Bahram nicht weiter zu kümmern. Es war, als lebte er zum ersten Mal das Leben, das ihm vorschwebte – als ein in sich selbst ruhender Patriarch, der seine Weisheit und Erfahrung an seinen Sohn weitergab.
Nil fand Bahrams unbeholfene und allzu häufige Gefühlsausbrüche in gewisser Weise rührend. Er verstand, warum sie Ah Fatt irritierten und warum er sie vielleicht nur als schwachen Ersatz für die langen Jahre ansah, in denen er sichalsvonseinem Vater verstoßen und verleugnet gefühlt hatte.
Doch das Erstaunlichste an Bahrams Beziehung zu Ah Fatt war für Nil die Tatsache, dass sie überhaupt existierte. In seinem früheren Leben in Kalkutta hatte er viele Männer gekannt, die illegitime Kinder gezeugt hatten. Seines Wissens erwies nicht einer von ihnen seinen Geliebten und deren Kindern auch nur die geringste Freundlichkeit; angeblich ließen manche ihre Babys aus Angst vor Erpressung sogar erwürgen. Sein eigener Vater, der
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