Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
alte Zamindar, hatte, so das Gerücht, im Lauf der Zeit mit einer Reihe von Frauen ein Dutzend Bastarde in die Welt gesetzt. Er entledigte sich des Problems, indem er den Frauen hundert Rupien zahlte und sie in ihre Dörfer zurückschickte. Unter Männern seiner Klasse galt das als normal, ja sogar großzügig. Für Nil war es immer so selbstverständlich gewesen, dass er keinen Gedanken daran verschwendet hatte. Schon gar nicht wäre ihm in den Sinn gekommen, die Bastarde seines Vaters als seine Halbgeschwister zu betrachten. Nachdem er selbst Zamindar geworden war, hätte er ohne Weiteres Nachforschungen über den Verbleib seiner illegitimen Halbbrüder und -schwestern anstellen können, doch auf die Idee wäre er nie gekommen. Rückblickend musste er sich wohl oder übel eingestehen, dass er in diesem Punkt versagt hatte. Dies wiederum machte ihm klar, dass Bahrams Verhalten gegenüber Ah Fatt und dessen Mutter für einen Mann seines Kalibers ganz und gar ungewöhnlich war.
    Doch das alles konnte er Ah Fatt nicht ohne Weiteres erklären.
    »Für Vater ›Freddy‹ wie Haushund. Deswegen er ständig tätschel und umarm und drück. Vater nur um sich selbst kümmer, sonst niemand.«
    »Hör zu, Ah Fatt, ich weiß, warum du so denkst. Aber glaub mir, die meisten Männer in seiner Lage hätten dich und deine Mutter kurzerhand verlassen. Das wäre das Einfachste gewesen, und so hätten es neunundneunzig von hundert Männern auch gemacht. Das sagt doch etwas über ihn, findest du nicht?«
    Ah Fatt waren diese Argumente nur ein Achselzucken wert, zumindest tat er so, aber für Nil war offensichtlich, dass sein Freund es trotz seines Grolls genoss, endlich einmal dort zu sein, wo er noch nie gewesen war: im Zentrum der Aufmerksamkeit seines Vaters.
    Mit der Zeit wurde Ah Fatt immer stiller und verzagter, und Nil wusste, dass nicht nur die Aussicht darauf, wieder von seinem Vater getrennt zu werden, an ihm nagte, sondern auch die Gewissheit, dass er Nil nicht nach Kanton begleiten würde. Eines Tages, als sie auf dem Quarterdeck auf und ab gingen, sagte Fatt mit hörbar neidischem Unterton: »Du glücklich Mann. Du geh nach Kanton – Nummer eins Stadt in alle Welt.«
    »In der ganzen Welt?«, wiederholte Nil überrascht. »Warum sagst du das?«
    »Kein Ort wie der, nirgends. Du werd sehen selber.«
    »Du hast Heimweh, stimmt’s?«
    Ah Fatt senkte den Kopf. »Ganz sehr. So viel Heimweh Kanton. Aber kannix geh.«
    »Gibt es jemanden, dem du eine Nachricht schicken möchtest? Jemand, mit dem ich mich treffen sollte?«
    »Nein!« Ah Fatt wirbelte auf dem Absatz herum. »Nein! In Kanton du kannix reden von Ah Fatt. Musst aufpassen, immer. Kein lo-lo-so-so. Kannix reden von Ah Fatt.«
    »Du kannst dich auf mich verlassen, Ah Fatt. Aber ich wollte, du würdest mitkommen.«
    »Mir glaub, Nil, auch will.« Er legte Nil die Hand auf die Schulter. »Aber aufpass, wenn dort, mein Freund.«
    »Warum?«
    »In China Leute sag ›Alles Neu kommt von Kanton‹. Besser junge Männer nix geh Kanton, zu viel Weg für Verderben.«

Sechstes Kapitel
    F ür die letzte Etappe der Reise nach China wählte Fitcher einen Umweg, um die Redruth von notorischen Piratenschlupfwinkeln wie den Ladronen fernzuhalten. So etwas wie diese Gewässer hatte Paulette noch nie gesehen: Sie waren übersät mit Tausenden zerklüfteter, offenbar menschenleerer Inseln. An deren steile Felswände klammerten sich hier und da Büschel grüner Pflanzen, und manche waren genauso pittoresk wie die Namen, mit denen sie in die Seekarten eingezeichnet waren: »Mandarinsmütze«, »Eckstein«, »Schildkrötenkopf« und »die Nadelklippen«.
    Als sie sich der Küste näherten, tauchten zahlreiche Wasserfahrzeuge von ungewohnter Form und Takelung auf: Lorchas, Dschunken, Batel ã os und stattliche spanische Manilafahrer. Hin und wieder zeigten sich auch englische und amerikanische Schiffe, und eines Morgens kam ihnen eine Brigg entgegen. Der Kapitän war ein Bekannter von Fitcher, also beschloss er, ihm einen Besuch abzustatten. Er ließ sich in einer Gig hinüberrudern und wirkte ungewöhnlich besorgt, als er nach einer halben Stunde zurückkam.
    »Schlechte Nachrichten, Sir?«, fragte Paulette.
    Fitcher nickte. Der Kapitän der Brigg hatte ihm gesagt, dass es inzwischen extrem schwierig sei, die Genehmigung zu bekommen, die ausländische Schiffe brauchten, um in die Mündung des Perlflusses fahren zu können. Und selbst die Einfahrt in den Hafen von Macao war eine knifflige

Weitere Kostenlose Bücher