Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Angelegenheit geworden, sodass die meisten ausländischen Schiffe es vorzogen, sich am gegenüberliegenden Ende der Flussmündung einen Ankerplatz zu suchen, in der Meerenge zwischen der Insel Hongkong und der Halbinsel Kowloon.
Nach einigem Überlegen beschloss Fitcher, anstatt, wie ursprünglich vorgesehen, Macao anzulaufen, den Kurs zu nehmen, den der Kapitän ihm angeraten hatte.
Schon bald kam ein zerklüfteter Gebirgsstock in Sicht, der senkrecht aus dem Meer aufragte. Dies, sagte Fitcher, sei Hongkong: An der Küste sah man nur wenige Häuser und noch weniger Bäume, es war ein wüster, sturmumtoster Ort, ganz ähnlich wie die benachbarten Inseln, nur größer, steiler und höher. Der Name Hongkong, sagte Fitcher, bedeute »duftender Hafen«. Paulette fand das eine seltsam skurrile Bezeichnung für einen so gottverlassenen, abschreckenden Ort.
Die Redruth ankerte in einer Bucht unterhalb des höchsten Berges der Insel. Hier lagen schon etliche andere ausländische Schiffe, umschwärmt von einer kleinen Flottille von Bumbooten und Lotsenbooten, die Vorräte und Passagiere zwischen den Schiffen und dem Festland hin- und herbeförderten.
Am nächsten Morgen fuhr Fitcher in aller Frühe mit einem Lotsenboot nach Macao und ließ den schwimmenden Garten der Redruth in Paulettes Obhut zurück. Als er tags darauf zurückkam, wirkte er völlig verzweifelt.
Kapitän Charles Elliott, der britische Bevollmächtigte in Macao, hatte ihm die derzeitige Lage in düstersten Farben geschildert. Offenbar hatte der Kaiser eine Reihe von Edikten erlassen, in denen er die Bezirksregierung anwies, mit aller Entschiedenheit gegen den Opiumhandel vorzugehen. Dementsprechend hatten die Behörden die »Schnellruderer« gekapert und in Brand gesetzt, die in großer Zahl den Perlfluss befuhren und das Opium direkt von den Schiffen an Land brachten. Viele englische Händler nahmen an, die Situation werde sich in Kürze wieder normalisieren, denn es hatte auch früher schon kurze Perioden erhöhter Wachsamkeit gegeben, die jedoch nie länger als einige Monate gedauert hatten. Diesmal jedoch war es anders: Ein paar Händler versuchten, ihre Boote wieder instand zu setzen, doch die Mandarine zündeten sie erneut an. Das war erst der Anfang. Als Nächstes begannen die Mandarine damit, Opiumhändler zu verhaften; einige kamen hinter Gitter, andere wurden hingerichtet. Ihre Läden und Opiumhöhlen wurden konfisziert, und das Opium wurde verbrannt. Dann wurden die Vorschriften für den Schiffsverkehr auf dem Perlfluss verschärft, und deshalb waren die Genehmigungen jetzt so schwer zu bekommen. Nur diejenigen Ausländer, die eine Bürgschaft der Kaufmannsgilde in Kanton vorweisen konnten, durften im Moment darauf hoffen, eine zu bekommen. Da Fitcher nicht über solche Beziehungen verfügte, war es unwahrscheinlich, dass er in näherer Zukunft eine solche Genehmigung erhalten würde. Deshalb hatte Kapitän Elliott Fitcher empfohlen, die Redruth vorerst vor Hongkong auf Reede zu lassen und auf eine Wende zum Besseren zu warten.
Während Fitchers Ausführungen hatte Paulette darauf geachtet, ob der Name »Chinnery« vorkam. Da sie ihn nicht gehört hatte, fragte sie: »Und sonst haben Sie sich mit niemandem getroffen, Sir?«
Fitcher warf ihr einen Blick zu, und nach kurzem Schweigen murmelte er: »Doch. Ich habe Mr. Chinnery aufgesucht.«
»Ach ja? Und war es ein nützlicher Besuch, Sir?«
»Ja. Aber anders, als ich es erwartet hatte.«
Mr. Chinnery hatte Fitcher in seinem Atelier empfangen, das in der obersten Etage seiner Residenz lag, in der Rua Ignacio Baptista Nr. 8: ein großer, sonniger Raum, an dessen Wänden vorzügliche Bildnisse und Landschaften hingen; ein Bild wurde gerade von zwei chinesischen Lehrlingen vollendet.
Schon nach wenigen Minuten wurde Fitcher klar, dass Mr. Chinnery ihn in sein Atelier eingeladen hatte, weil er mit einem Auftrag für ein Porträt rechnete. Als Fitcher ihm auseinandersetzte, dass er in einer völlig anderen Angelegenheit gekommen sei – bei der es um zwei in Kanton entstandene Pflanzenbilder ging – , war der Künstler ein wenig verdrießlich geworden. Er würdigte die Kamelienbilder kaum eines Blickes und tat sie kurzerhand als unbedeutenden Firlefanz ab. Die Pinseleien kantonesischer Maler seien der Aufmerksamkeit eines seriösen Mannes nicht würdig, hatte er erklärt; ja, die Dilettanten, die botanische Illustrationen und dergleichen verfertigten, könnten überhaupt nicht als Maler
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