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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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und direkter Nachkomme von Xerxes und Darius … «
    Bahram schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie sehr sich seine Mutter amüsiert hätte.
    Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass die Cuffnells wegen eines Problems mit der Ausrüstung etwas länger als vorgesehen in Jamestown bleiben musste. Für Bahram und Zadig, die ihrer engen Unterkunft an Bord überdrüssig waren und möglichst bald ihr Ziel erreichen wollten, war das eine höchst unerfreuliche Nachricht. Die Engländer schöpften dagegen neue Hoffnung. Sie hatten erfahren, dass Napoleon gern lange Spaziergänge unternahm, und Pferde gemietet, mit denen sie in die Hügel hinaufreiten wollten. Zadig prophezeite, dass diese Expedition sich als genauso vergeblich erweisen würde wie alle anderen Versuche, doch er irrte: Die Teilnehmer des Ausritts kehrten mit neu erwachten Hoffnungen zurück. Zwar hatten sie Napoleon selbst nicht zu Gesicht bekommen, aber sie waren jemandem begegnet, der behauptet hatte, er könne höchstwahrscheinlich ein Zusammentreffen arrangieren. Es handelte sich um einen der Quartiermeister, die für die Versorgung von Napoleons Haushalt zuständig waren. Obendrein war er mit einem der Passagiere bekannt und hatte sich in kürzester Zeit als ein überaus höflicher und zuvorkommender Mann erwiesen. Er sagte, der General habe kürzlich ein gewisses Interesse an der Cuffnells erkennen lassen, und bot ihnen an, ihre Anfrage direkt an den Oberhofmarschall Gatien Bertrand weiterzuleiten, Napoleons Gefährten im Exil. Er versicherte ihnen, dass sie schon am nächsten Tag Antwort erhalten würden.
    Tatsächlich erschien tags darauf gegen Mittag der Quartiermeister an Bord der Cuffnells. Kurz darauf kam ein Laskar zu Bahram herunter und meldete, seine Anwesenheit auf dem Quarterdeck werde gewünscht.
    Eine solche Einladung war Bahram noch nie zuteil geworden, und er erschrak. »Sind Sie sicher?«, fragte er den Laskar. »Wer hat Sie geschickt?«
    »Die Sahibs und Ma’ams«, erwiderte er.
    »Achha? Chalo. Sagen Sie ihnen, ich komme.«
    Er zog einen frischen angarkha an, stieg zum Quarterdeck hinauf und wurde aufs Herzlichste begrüßt.
    »Oh, Mr. Moddie, bitte nehmen Sie doch Platz.«
    »Geht es Ihnen gut? Das Wetter macht Ihnen nicht zu schaffen?«
    »Nein, nein«, beeilte sich Bahram dem Fragesteller zu versichern. »Ich erfreue mich bester Gesundheit. Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?«
    »Nun, Mr. Moddie … « Nach einigen verlegenen Floskeln kam der Quartiermeister schließlich zur Sache. »Sicher ist Ihnen bekannt, Mr. Moddie, dass Napoleon Bonaparte auf diesem Eiland als Gefangener lebt. Einige Ihrer Reisegefährten hegen den dringenden Wunsch, ihn zu sprechen, und er hat sich bereit erklärt, sie zu empfangen. Allerdings unter einer Bedingung.«
    »Ja?«
    »Bonaparte hat entschieden, dass er sie nur dann empfangen wird, wenn er zuvor mit Ihnen sprechen kann.«
    »Mit mir? Warum denn das?«, rief Bahram verblüfft.
    »Nun, Mr. Moddie, es ist Bonaparte zu Ohren gekommen, dass sich ein zoroastrischer Prinz an Bord der Cuffnells befindet.«
    »Ein Prinz?« Bahram machte große Augen. »Was für ein Prinz? Warum will er ihn sprechen? Was hat er mit dem Prinzen zu schaffen?«
    Der Quartiermeister räusperte sich und erklärte dann: »Es hat den Anschein, Mr. Moddie, dass Bonaparte sich einst als der Alexander unserer Zeit sah. Es war seine Absicht, von Ägypten ostwärts nach Persien und Indien zu ziehen, in den Fußstapfen des großen Mazedoniers. Er hatte offenbar sogar davon geträumt, an den Toren von Persepolis auf Darius zu treffen, so wie Alexander der Große … «
    Für Bahram gab es, wie für viele seiner Landsleute, kaum einen verhassteren Namen als den des zweigehörnten Griechen. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, und er rief aus: »Chha! Was reden Sie da von Alexander? Wissen Sie, was dieser Schurke getan hat? Paläste geplündert, Tempel niedergebrannt, Ehefrauen entehrt – welche Schandtat hat er nicht begangen? Sogar junge Männer hat er geschändet. Und nun, da dieser Neue gekommen ist, glauben Sie, ich würde ihm demütig meine Aufwartung machen? Halten Sie mich für verrückt?«
    Der konsternierte Quartiermeister beeilte sich, ihn zu beruhigen. »Sie haben keinen Grund zur Sorge, nicht den geringsten. Bonaparte will Ihnen nichts Böses. Schließlich ist er Franzose und kein Grieche. Und er interessiert sich nicht nur für Ihre Sekte, sondern möchte Sie auch über Ihre Geschäftstätigkeit in China befragen. Ihm wird der

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