Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Ausspruch zugeschrieben, es sei besser, wenn China weiterschlafe, denn wenn es einmal aufwache, werde die Welt erzittern.«
»Was sagen Sie da?«, fragte der verwirrte Bahram. »Dieser Mensch glaubt, dass die Chinesen zu viel schlafen?«
»Aber nein«, erwiderte der Quartiermeister. »Sicher sprach er nur gleichnishaft. Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass er sich über dieses Land unterrichten möchte. Das ist einer der Gründe, weshalb er mit Ihnen sprechen möchte.«
Bahram war inzwischen streitlustig geworden und nicht willens, sich irgendjemandes Wünschen zu beugen. »Arré. Bald bin ich Darius, bald Kublai Khan? Was denkt er eigentlich? Soll ihm doch irgendein Chinese Auskunft geben. Warum sollte ich hingehen?«
»O bitte, Mr. Moddie«, beschwor ihn eine der englischen Ladys. »Wollen Sie es sich nicht doch noch einmal überlegen?«
Ein wenig besänftigt schlug Bahram die Fingerspitzen beider Hände aneinander, während er über seinen nächsten Schritt nachdachte. Es war unbestreitbar schmeichelhaft, vor einen Mann zitiert zu werden, der noch vor Kurzem Kaiser gewesen war; andererseits schien ihm auch, dass es vielleicht nicht besonders klug war, einem General, der riesige Armeen vernichtend geschlagen hatte, allein gegenüberzutreten. Er hörte förmlich seine Mutter auf Gujarati flüstern: Wer seinen Kopf auf den Mahlstein legt, muss damit rechnen, dass er zermalmt wird.
Bahram kratzte sich den Bart und sagte: »Ich stelle auch eine Bedingung. Wenn ich gehe, muss mein guter Freund Mr. Karabedian mich begleiten.«
Seine Gesprächspartner wechselten zweifelnde Blicke. »Aber warum ist das nötig?«
»Weil er Französisch spricht, darum«, erwiderte Bahram. »Er wird mein Dolmetscher sein.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, sagte der Quartiermeister mit Bestimmtheit. »Ich darf darauf hinweisen, dass Bonaparte Ihren Freund nicht in die Einladung eingeschlossen hat.«
»Nun gut! Bas! Wozu dann noch Zeit verschwenden?« Bahram raffte sein Gewand und machte Anstalten, sich zu erheben. »Dann entferne ich mich jetzt.«
»O bitte, warten Sie noch! Bitte, Mr. Moddie!«
Das Einschreiten der Damen gab den Ausschlag, und man einigte sich darauf, tags darauf um zehn Uhr morgens aufzubrechen.
Zadig hatte natürlich das ganze Gespräch von dem Horchposten aus verfolgt und war zutiefst dankbar, dass Bahram ihn mitnehmen wollte; Bahram konnte sogar einen kleinen Nachlass auf die noch ausstehende Gebühr für seine Koje aushandeln.
Doch er hatte auch noch aus einem anderen Grund darauf bestanden, dass sein Freund an der Expedition teilnehmen durfte. Sein Instinkt sagte ihm, dass gewisse protokollarische Vorschriften zu beachten sein würden, wenn man einem Kaiser, und sei es auch ein abgesetzter, seine Aufwartung machte, und er hatte nicht die geringste Ahnung, was die Etikette für diesen Fall vorschreiben mochte. Er hatte mehrere Rajas und Maharajas und sogar einen Badshah – Shah Alam II . – aufgesucht, der damals den wankenden Mogul-Thron in Delhi innehatte. Diese Erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass Könige und Kaiser erbittert auf die Wahrung ihrer Würde bedacht waren, mochten sie auch weitgehend entmachtet sein.
Zadig war natürlich weiter gereist als Bahram und besser über höfisches Zeremoniell unterrichtet, aber selbst für ihn war dies eine völlig neue Situation, und in manchen protokollarischen Fragen war er genauso wenig bewandert wie Bahram. Wie sollten sie sich beispielsweise kleiden? Beide Männer führten zwar auch europäische Garderobe in ihren Schrankkoffern mit sich, doch keiner von beiden hatte die geringste Lust, seine gewohnte Kleidung gegen einen engen, maßgeschneiderten Anzug zu tauschen. Außerdem, so argumentierte Zadig, wäre Napoleon bestimmt enttäuscht, wenn sein persischer Prinz in der Kleidung eines Kolonialbeamten bei ihm auftauchte. Es war also wohl besser, sich wie üblich zu kleiden, und zum Glück hatten sie beide einige Sachen im Gepäck, deren sie sich an keinem orientalischen Hof hätten schämen müssen. In Zadigs Fall waren es ein prächtiger Bürümcük-Kaftan und eine goldbestickte West aus Jerewan, Bahram hatte silbergraue »Mughalai«-Hosen mit einem dekorativen izarband, die mit einem knielangen Hemd aus cremefarbener Seide mit Badla-Goldstickerei getragen wurden. Ergänzt wurde dieses Ensemble durch ein prachtvolles knielanges Übergewand, das wie ein Mantel benutzt wurde – einen blauseidenen choga mit einem hohen Kragen aus
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