Der rauchblaue Fluss (German Edition)
goldenem kimkhab-Band. Das Problem der Kopfbedeckung war in Zadigs Fall rasch gelöst – er entschied sich für einen hohen Zobel-calpac. Doch bei Bahram drohte dies zur kniffligsten Frage zu werden. Sein Festtagsturban war über drei Meter lang, und er wusste, dass es kein Kinderspiel sein würde, so viel Stoff in einer Kabine zu wickeln, die kaum so groß war, dass sich zwei Männer darin umdrehen konnten.
Ihre Kostümierung war dann doch weniger mühselig als befürchtet: Einer half dem anderen als Kammerdiener, und so konnten sie sich unter vielen Verrenkungen in ihre Gewänder zwängen, bevor verkündet wurde, das Boot des Kapitäns sei bereit, sie an Land zu bringen, nach Jamestown.
Dies war der Hauptort der Insel, und er bot einen ebenso ungewöhnlichen wie malerischen Anblick: Die Stadt bestand aus einer Doppelreihe von Häusern in schönen Farben am Boden eines tief eingeschnittenen, V-förmigen Tals. Am Ende des Tals sah man oben auf einem Hügel das Haus, in dem Napoleon gefangen gehalten wurde.
Die benötigten Reitpferde standen schon bereit, und die Kolonne setzte sich in Bewegung und schlängelte sich durch die schmalen, kopfsteingepflasterten Straßen der Stadt bergauf. Das Haus, das man dem ehemaligen Kaiser zugewiesen hatte, hieß Longwood House und lag auf einer der höchsten Erhebungen der Insel, etwa acht Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Der Weg war schmal, aber malerisch und bot nach jeder Biegung eine neue Aussicht auf das blau glitzernde Meer und die grünen, mit farnbewachsenen Bäumen bestandenen Hügel. In steilem Anstieg kamen die Besucher an Obstgärten und dichten Büscheln von Wildblumen vorbei. Schließlich erreichten sie eine von britischen Soldaten errichtete Sperre. Ganz in der Nähe stand ein baufälliges Häuschen. Hier, so erfuhren sie, wohnte Comte Henri-Gatien Bertrand, Grand Maréchal du Palais, einer der engsten Vertrauten Napoleons.
Sie saßen ab, ihre Ankunft wurde gemeldet, und der Marschall erschien, um sie zu begrüßen; er erwies sich keineswegs als das Ungeheuer, das einige erwartet hatten, sondern als ein distinguiert wirkender Mann von äußerst einnehmenden Umgangsformen. Der Marschall führte die Besucher zu seinem Haus, mit dem Versprechen, sie jemandem vorzustellen, den sie überaus interessant finden würden. Die Frauen verstanden das so, dass sie nun jeden Moment dem Teufel in Menschengestalt gegenüberstehen würden, und echauffierten sich darob mächtig – unnötigerweise, wie sich herausstellte, denn der Marschall hatte sie nur geneckt: Es war seine Frau, die im Haus wartete, und alle waren bezaubert von ihrer sympathischen Art und ihrem guten Englisch. Sie schien besonders erfreut, Zadig kennenzulernen, und holte ein Kamelhaartuch hervor, das ihr, wie sie erzählte, Kaiserin Marie Louise geschenkt hatte, die es wiederum für dreihundert Guineen einem armenischen Händler abgekauft hatte. Das führte zu einer lebhaften Diskussion, und die Engländer verstanden sich immer besser mit der Gräfin, die halb irischer und halb kreolischer Abstammung war. So angetan waren sie von ihr, dass sie keine Enttäuschung zeigten, als Marschall Gatien Bertrand ihnen mit dem Ausdruck des Bedauerns mitteilte, dass es nun seine Pflicht sei, die beiden asiatischen Besucher zu einem Gespräch mit dem General zu bringen; wenn die anderen nichts dagegen einzuwenden hätten, so lange bei der Gräfin zu bleiben, bitte er sie, ihn für kurze Zeit zu entschuldigen. Die Engländer waren einverstanden, und Bahram und Zadig erhoben sich und verließen mit dem Marschall das Haus.
Longwood House stand auf dem Gipfel des Hügels, und der Weg dort hinauf war steil und gewunden. Als das Haus in Sicht kam, erschraken die beiden Besucher: Es war nur eine Art Bungalow und weder besonders groß noch besonders eindrucksvoll. Das einzige hervorstechende Merkmal war ein spitzgiebeliger Portikus; ohne die auf dem Gelände postierten Soldaten hätte man es für das Haus einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden Familie halten können.
Am unteren Ende des Gartens stand ein Zelt, in dem ein Zug Soldaten untergebracht war. Mehrere andere Besucher warteten dort, doch auf ein Wort des Marschalls wurden Bahram und Zadig vor den anderen durchgewinkt. Nach wenigen Schritten blieb der Marschall stehen und zeigte auf etwas, was wie ein Blumengarten aussah. Er müsse sich jetzt auf den Rückweg machen, sagte er, aber sie würden keine Schwierigkeiten haben, den General zu finden – um diese
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