Der rauchblaue Fluss (German Edition)
her, du … «
Paulette umschlang ihn, und seine weiche, herzliche Umarmung war wie die Erinnerung an einen Geschmack von früher. Sie spürte wieder, wie es damals gewesen war, als sie miteinander herumgealbert, geschäkert, gestritten und getratscht hatten, und auf einmal wurde ihr bewusst, dass Robin vielleicht der beste Freund war, den sie je gehabt hatte – denn Jodu war mehr ein Bruder als ein Freund gewesen.
»Ach, Robin, ich bin ja so froh, dich wiederzusehen – es ist so lange her.«
»Zu lange, viel zu lange!«, rief Robin. »Ich hab dich so vermisst, meine süße, liebe Paggli.«
»Hast du uns verziehen, Robin? Jodu und mir?«
»Aber ja.« Robin entließ sie aus seiner Umarmung. »Alles vergeben und vergessen. Ihr wart ja noch Kinder und, wenn ich das sagen darf, meine liebe Miss Pagglesford, besonders wählerisch in euren Vorlieben, wie hätte man also von euch Kunstverständnis erwarten können? Der Fehler lag wirklich bei mir, ich mache mir Vorwürfe … obwohl ich nicht leugnen kann, dass euer Vandalismus mich damals schwer getroffen hat. Ich hatte viel in dieses Gemälde investiert, und sein Verlust hat mich in eine Krise gestürzt – die wiederum, das muss ich leider sagen, höchst unglückselige Folgen hatte. Meine arme, liebe Mutter, die, wie du weißt, zu gut, zu vertrauensvoll für diese Welt war, geriet so in Sorge über meine Gemütsverfassung, dass sie – du wirst es nicht glauben, liebste Paggli – mich partout verheiraten wollte!«
»Im Ernst? Und was ist daraus geworden?«
»Es war leider vergebliche Liebesmüh, Paggli, denn ich bin kein Mann zum Heiraten. Außerdem war sie – meine Braut – eine wahre Vogelscheuche und hat jedem, der ihr über den Weg lief, einen Heidenschreck eingejagt.«
»Und was hast du getan?«
»Dasselbe, was jeder Chinnery getan hätte, liebste Paggli: Ich hab mich aus dem Staub gemacht. Und natürlich war mein erster Gedanke, mich nach Kanton zu flüchten, genau wie Mr. Chinnery, denn das ist der einzige Ort, an dem ein Sahib vor Memsahibs sicher ist. Aber die Flucht war kein leichtes Unterfangen, das kann ich dir sagen, denn eine Passage nach China ist alles andere als billig. Zum Glück hatte ich aber zwei Bilder bei der Hand, die ich in der Chinnery-Manier gemalt hatte und die nur noch signiert werden mussten. Nachdem ich das nachgeholt hatte, konnte ich sie mühelos verkaufen, und ich war mir sicher, dass Mr. Chinnery mir diese Verzweiflungstat nachsehen würde. Doch o weh, nichts lief so, wie ich erwartet hatte: Mr. Chinnery wurde richtig böse , weil ich seine Signatur gefälscht hatte. Noch schlimmer war aber, dass er gar nicht in Kanton lebte, sondern in Macao, und das ist nichts weiter als ein stinklangweiliges Provinznest. Es ist eine Stadt, in der sich jeder überaus vornehm gibt, und dieses Fieber hatte anscheinend auch Mr. Chinnery befallen: Meine Ankunft brachte ihn völlig aus der Fassung. Du wirst es nicht glauben, liebste Paggli, aber er besteht darauf, dass ich mich als sein Neffe ausgebe, und hat mir streng verboten , mich in der Öffentlichkeit in anderen als absolut tristen Kleidern zu zeigen. Ich geb mir Mühe, ihm in allem zu gehorchen, aber er liegt mir trotzdem ständig damit in den Ohren, dass ich nach Kalkutta zurück soll – um mich mit meiner Frau zu versöhnen, wie er sagt, obwohl er genau weiß, dass sie mit einem Kapellmeister nach Barrackpore durchgebrannt ist. Ich bin natürlich nicht blöd, ich weiß, dass er mich nur loswerden will – aber ich war von Anfang an entschlossen , nicht wieder heimzufahren, ohne wenigstens eine Saison in Kanton verbracht zu haben, und davon hat er mich nicht abbringen können.«
»Aber warum, Robin? Warum ist es dir so wichtig, nach Kanton zu gehen?«
Robin seufzte schwer. »Ich traue mich nicht, es dir zu sagen, liebste Paggli. Ich fürchte, du wirst mich auslachen.«
»Bestimmt nicht. Bol! Sag’s mir.«
»Tja, liebste Paggli, wie du weißt, kann man nicht gerade behaupten, ich hätte bis jetzt ein glückliches Leben geführt, und niemandem scheint dieser Zustand begehrenswerter als einem, dem er konsequent verweigert wird. Kurzum, ich bin inzwischen zutiefst überzeugt, dass Kanton die Stadt ist, in der ich am ehesten ein gewisses Maß an Zufriedenheit finden könnte.«
»In Kanton?«, rief Paulette. »Warum denn ausgerechnet in Kanton?«
»Tja, liebste Paggli, ich bin alt genug, um zu wissen, dass mir nicht beschieden ist, irgendeine der üblichen Formen häuslichen Glücks
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