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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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weil die Mandarine keine Briefe annehmen, die nicht im Stil einer Petition oder Bittschrift und in chinesischen Schriftzeichen abgefasst sind; da dies den Briten widerstrebt, werden ihre Mitteilungen oft nicht akzeptiert.«
    Napoleon musste lachen, und seine Zähne blitzten in der Sonne auf. »Ihre Beziehungen scheitern also an Protokollfragen?«
    »So ist es, Euer Majestät. Keine der beiden Seiten will in dieser Angelegenheit nachgeben. Wenn es eine Nation gibt, die in puncto Arroganz und Verstocktheit den Engländern gleichkommt, dann sind es die Chinesen.«
    »Aber da es die Engländer sind, die Botschafter dorthin schicken, bedeutet das doch wohl, dass sie die Chinesen dringender brauchen als umgekehrt?«
    »So ist es, Euer Majestät. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist die Nachfrage nach chinesischem Tee in Großbritannien und Amerika derart rapide gestiegen, dass dieses Produkt heute die wichtigste Einnahmequelle der Ostindien-Kompanie ist. Die darauf erhobenen Steuern machen nicht weniger als ein Zehntel der britischen Staatseinnahmen aus. Zählt man noch Güter wie Seide, Porzellan und Lackarbeiten hinzu, wird deutlich, dass die europäische Nachfrage nach chinesischen Produkten gewaltig ist. In China besteht dagegen nur geringes Interesse an der Einfuhr von Waren aus Europa. Die Chinesen sind der festen Überzeugung, dass ihre Produkte, ihr Essen und ihre Sitten und Gebräuche allen anderen überlegen sind. In den letzten Jahren hat dies den Engländern große Schwierigkeiten bereitet, denn die Handelsbilanz war so unausgeglichen, dass Großbritannien einen erheblichen Abfluss von Silber verzeichnete. Deshalb haben die Briten begonnen, indisches Opium nach China zu exportieren.«
    Napoleon zog die Augenbrauen hoch: »Begonnen? Commencé ? Soll das heißen, diesen Handel hat es nicht schon immer gegeben?«
    »Ja, Majestät. Der Opiumhandel war völlig unbedeutend, bis die Ostindien-Kompanie ihn vor etwa sechzig Jahren als Korrektiv gegen den Abfluss von Edelmetall einzusetzen begann. Inzwischen kann das Angebot kaum noch mit der Nachfrage Schritt halten. Das Silber fließt nun in die entgegengesetzte Richtung, von China nach England, Amerika und Kontinentaleuropa.«
    Der General blieb unter einem Baum mit seltsam behaarten Blättern stehen. Er pflückte zwei davon ab und gab Bahram und Zadig je eines. »Es wird Sie bestimmt interessieren«, sagte er, »dass dieser Baum, der ›She-Cabbage Tree‹ genannt wird, nirgendwo sonst auf der Erde vorkommt. Sie dürfen die Blätter als Andenken an diese Insel behalten.«
    Zadig verbeugte sich, und Bahram folgte seinem Beispiel: »Wir danken Ihnen, Majestät.«
    Unterdessen hatten sie sich ein gutes Stück vom Haus entfernt, und Napoleon beschloss, den Rückweg anzutreten. Einen Moment lang schien es – zu Bahrams Erleichterung – , als sei er von den Themen, über die sie gesprochen hatten, abgekommen, doch im Weitergehen zeigte sich, dass er sich nicht so leicht ablenken ließ.
    »Sagen Sie mir eins, Messieurs: Betrachten die Chinesen Opium nicht als schädlich?«
    »Oh doch, gewiss, Euer Majestät: Die Einfuhr wurde schon im vergangenen Jahrhundert untersagt, und dieses Verbot wurde mehrmals erneuert. Im Grunde genommen ist es ein illegaler Handel – ihn zu unterbinden ist jedoch schwierig, weil viele Beamte, subalterne wie mächtige, davon profitieren. Und was die Händler selbst angeht, die finden immer Mittel und Wege, die Gesetze zu umgehen, wenn ihnen große Profite winken.«
    Napoleon senkte den Blick auf den staubigen Weg. »Ja«, sagte er leise, wie zu sich selbst: »Das war das Problem, vor dem auch wir in Europa mit unserer Kontinentalsperre standen. Kaufleute und Schmuggler sind sehr erfinderisch darin, Gesetze zu umgehen.«
    »Ganz recht, Euer Majestät.«
    Ein Funkeln erschien in den Augen des Generals. »Aber wie lange werden die Chinesen Ihrer Meinung nach diesen Handel noch dulden?«
    »Das bleibt abzuwarten, Euer Majestät. Der Stand der Dinge ist der, dass eine Beendigung des Opiumhandels ein Desaster für die Ostindien-Kompanie wäre. Man könnte ohne Übertreibung sagen, dass die Briten ohne ihn nicht in der Lage wären, ihre süd- und ostasiatischen Kolonien zu behalten. Sie können es sich nicht leisten, auf diese Profite zu verzichten.«
    »Quelle ironie!«, warf Napoleon ein und zeigte sein gewinnendstes Lächeln. »Welche Ironie wäre es doch, wenn ausgerechnet das Opium China aus seinem Schlaf erwecken würde. Und wenn es so

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