Der rauchblaue Fluss (German Edition)
käme, würden Sie das als etwas Gutes erachten?«
»O nein, Euer Majestät«, erwiderte Zadig sofort. »Mich hat man immer gelehrt, dass aus Bösem nichts Gutes erwachsen kann.«
Napoleon lachte. »Dann wäre ja die ganze Welt durch und durch böse. Warum, par exemple, handeln Sie mit Opium?«
»Ich nicht, Euer Majestät«, sagte Zadig rasch. »Ich bin Uhrmacher und befasse mich nicht mit Opiumhandel.«
»Und Ihr Freund? Er handelt doch mit Opium, n’est-ce pas? Glaubt er, dass das böse ist?«
Die Frage kam für Bahram überraschend, und zunächst verschlug es ihm die Sprache. Dann nahm er seine fünf Sinne zusammen und sagte: »Opium ist wie der Wind oder die Gezeiten: Es liegt nicht in meiner Macht, seinen Lauf zu ändern. Ein Mann ist weder gut noch böse, weil er mit seinem Schiff vor dem Wind segelt. Wie er sich gegenüber den Menschen seiner Umgebung verhält – seinen Freunden, seiner Familie, seiner Dienerschaft – , danach sollte man ihn beurteilen. Das ist mein Lebensmotto.«
Napoleon richtete seinen durchdringenden Blick auf Bahram. »Aber ein Mann kann doch sterben, nicht wahr, wenn er vor dem Wind segelt?«
Die Frage blieb unbeantwortet, denn Longwood House war in Sicht gekommen, und ein Adjutant kam auf der Suche nach dem General den Weg herabgelaufen.
Bonaparte wandte sich Zadig und Bahram zu und zog schwungvoll seinen Hut: »Au revoir messieurs, bonne chance!«
Siebtes Kapitel
7. November 1838
Markwick’s Hotel, Kanton
Liebste Paggli, ich bin hingerissen ! Kanton, endlich – und welche Ewigkeit hat es gedauert! Ich bin mit einem Fährboot gekommen – einem höchst seltsamen Fahrzeug von der Form einer Raupe und genauso langsam. Wie ich die reichen Fanqui-Schiffseigner beneidet habe, die in ihren schönen Schaluppen und eleganten Jollen an uns vorüberglitten! Angeblich schaffen die schnellsten davon die Fahrt von Macao nach Kanton in anderthalb Tagen. Natürlich hat unsere Raupe mehr als doppelt so lange gebraucht; am Schluss fanden wir uns in Whampoa wieder, immer noch zwölf Meilen von Kanton entfernt.
Whampoa ist eine Insel im Perlfluss, und ihre Gewässer sind der letzte Ankerplatz für ausländische Schiffe. Sie dürfen nicht näher an Kanton heran und müssen hier ankern, während sie ent- und beladen werden. Für die Besatzungen ist das eine harte Prüfung, denn in Whampoa gibt es außer einer schönen Pagode kaum etwas Interessantes zu sehen: Nach meinem Eindruck ist das Dorf für den Perlfluss dasselbe wie Budge Budge für den Hugli – eine heruntergekommene Ansammlung von Lagerhäusern, Liegeplätzen und Zollbaracken. Gelangweilte Matrosen und Laskaren, die für Wochen auf ihren dümpelnden Schiffen festsitzen, vertreiben sich die Zeit damit, die Tage bis zu ihrem nächsten Landurlaub in Kanton zu zählen.
Zum Glück braucht man sich als Durchreisender nicht lange in Whampoa aufzuhalten, denn es gehen Tag und Nacht Fähren nach Kanton. Der Fluss ist hier übersät mit den kuriosesten Booten und fantastischen Schiffen, aber man hat nicht den Eindruck, dass man sich einer Großstadt nähert. Zur Linken liegt eine Insel namens Honam: Wegen ihrer stattlichen Anwesen, ihrer Gärten und Obstplantagen wirkt sie überaus pastoral – und auch das erinnert an die Zufahrten nach Kalkutta, an die Felder und Wälder von Chitpur, die der Stadt gegenüber am anderen Flussufer liegen. Aber es werden immer mehr Sampans und Salzdschunken, und bald liegen so viele davon auf beiden Flussseiten vor Anker, dass sie als lückenlose Barrikade die Sicht auf die Küste versperren. Dann erscheinen über den Masten und Segeln die Befestigungsanlagen der Stadt – mächtige, graue Steinmauern, in Abständen mit Wachtürmen und vielfach überdachten Toren bestückt. Kalkuttas Fort William ist winzig, verglichen mit dieser riesigen Zitadelle: Ihre Mauern sind viele Meilen lang, sie ziehen sich einen Hügel hinauf und treffen an einem majestätischen fünfstöckigen Turm aufeinander. Er wird Sea-Calming Tower genannt (ist das nicht ein überaus poetischer Name?), und man hat mir gesagt, dass die Soldaten, die ihn bewachen, Besucher nur gegen ein zufriedenstellendes cumshaw einlassen. Die Aussicht soll hinreißend sein: Man sieht die ganze Stadt zu seinen Füßen liegen, wie auf einer riesigen Landkarte. Es dauert nur ein bis zwei Stunden, an der Stadtmauer entlang zu dem Turm zu gehen, und ich bin fest entschlossen, diese Wanderung zu unternehmen, sonst bekomme ich nichts von der Zitadelle zu sehen.
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