Der Rausch einer Nacht
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Diana und Corey lösten mit ihrer Geschichte eine wahre Lawine aus, und als alle ihren Nachtisch aufgegessen hatten, war jeder am Tisch einmal Mittelpunkt einer komischen und manchmal auch verräterischen Geschichte gewesen. Irgendwann war dann auch Cole in die Familienrunde aufgenommen worden und wurde von den anderen nicht länger als Eindringling gesehen.
Die letzte Geschichte drehte sich um Rose Britton und ihre giftige Antwort in der Oprah-Winfrey-Show auf eine Verehrerin ihres Mannes, die davon schwärmte, wie gern sie mit Henry verheiratet wäre. Nachdem alle über diese Anekdote gelacht hatten, sagte Dianas Mutter zu Cole: »Ich fürchte, jetzt kennen Sie bald alle unsere dunklen Geheimnisse.«
»Keine Bange, bei mir sind sie gut aufgehoben«, entgegnete er mit vergnügtem Lächeln. Innerlich mußte er jedoch die Zähne zusammenbeißen, wenn er die harmlosen >Sünden< dieser Familie mit den wirklichen Untaten seiner eigenen verglich. Trotzdem war er erleichtert, daß dieses gemeinsame Mahl so glimpflich für ihn abgelaufen war, ihn niemand mehr mit bohrenden Fragen behelligte und überhaupt alle ihn als neuen Freund der Familie bei sich aufgenommen hatten.
Mit einer Ausnahme: Spencer Addison.
Coreys Mann verhielt sich ihm gegenüber nicht einmal neutral. Coles Instinkt signalisierte ihm eindringlich, daß Addison immer noch entschieden gegen seine Verbindung mit Diana eingestellt war. Spencer ließ sich natürlich offen nichts davon anmerken. Er war viel zu wohlerzogen, um der Familie seiner Frau einen netten Abend zu verderben.
Nach Harrisons Erfahrung konnten Menschen wie Addison nur ihresgleichen wirklich akzeptieren, ganz gleich wie dumm, langweilig oder bösartig ihre Oberschichtfreunde auch sein mochten. Dank seiner Geburt und Erziehung sah er Cole als natürlichen Feind an. Harrison war auch schon in anderen Situationen auf solche Menschen getroffen und hatte die gleichen Reaktionen erlebt. Im Grunde genommen konnte er deren Haltung sogar verstehen.
Im Geschäftsleben hatte Cole sich schon einige Male ein Vergnügen daraus gemacht, solche Gegner zu zwingen, offen Farbe zu bekennen, sie in Situationen gebracht, in denen sie sich nicht mehr hinter ihren Ritualen und ihrer Arroganz verstecken konnten. Es gefiel ihm, wenn sie sich vor ihm wanden und sich immer weiter entblößen mußten; denn erst dann konnte sich entscheiden, wer von beiden den gerisseneren Verstand besaß.
Doch hier sah Harrison keine Veranlassung, Addison dazu zu bringen, aus seiner passiven Reserviertheit herauszukommen und seine Feindschaft offen zu bekennen. Diana hatte ihn bereits geheiratet, und Cole war sich ziemlich sicher, daß sie die Vereinbarung nicht brechen würde.
Er beobachtete Diana, wie sie sich mit Corey unterhielt, und stellte überrascht fest, daß er ihr vertraute. Diese Erkenntnis verstörte ihn zutiefst. Aber dann stellte er sich vor, wie sie hinter Corey durch den Busch stolperte, sich mit ihrem verletzten Knöchel abmühte und dabei auch noch pflichtbewußt ihren blauen Notfallkoffer mitführte - und er mußte lächeln.
Trotz der Harmonie und der Fröhlichkeit, die an der Tafel geherrscht hatten, verlief der Abschied deutlich verkrampft.
Normalerweise verließen Jungverheiratete das Elternhaus der Braut unter einem Regen von Reiskörnern und begleitet von allen möglichen Glück- und Segenswünschen. Doch das schien hier unangebracht zu sein, auch wenn man Harrison im Lauf des Abends das >Du< angeboten hatte. Die Familie versuchte, das Beste aus der Situation zu machen, und das machte sie in Coles Augen noch liebenswerter.
Dianas Mutter reichte ihrem neuen Schwiegersohn zum Abschied die Hand und sagte etwas unglücklich: »Es war sehr schön, dich nach all den Jahren einmal persönlich kennenzulernen. Werden wir dich denn in Zukunft häufiger zu sehen bekommen?«
»Das will ich meinen.«
Großvater schüttelte ihm ebenfalls die Hand. »Willkommen im Kreis - du bist hier jederzeit gern gesehen.«
»Danke.«
Spencer Addison gab sich gar nicht erst die Mühe, so zu tun, als sei er begeistert. Doch er verabschiedete sich nicht in Feindschaft, sondern nahm das Ganze mehr von der heiteren Seite. »Ich wußte gar nicht, daß Diana Angst vor Dreck und Schlangen hat. Was hast du denn mit der Schlange angestellt, die bei den Haywards im Stall gelebt hat?«
Diana schien die Gelegenheit sofort ergreifen zu wollen, ihrem Schwager zu beweisen, wie liebenswürdig und fürsorglich Cole damals schon gewesen
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