Der Rausch einer Nacht
Taschenlampe dabei, selbstredend alles in Blau.
Das war vielleicht ein Morgen!« lachte Corey. »Als wir zu der Stelle gelangten, wo ich mein Foto schießen wollte, mußte ich entdecken, daß die Lichtverhältnisse auf unserer Seite des Bachs zu schlecht waren. Also mußten wir eine flache Stelle im Wasser finden, auf die andere Seite übersetzen und dann den ganzen Weg zum Wasserfall zurück.«
»Und, hast du dein Foto von den Elchen bei Sonnenaufgang bekommen?«
»Nein. Statt dessen haben wir uns verirrt. Schließlich war es noch dunkel draußen, und irgendwie haben wir einen ganz anderen Bach überquert und sind zu einem falschen Hügel gelangt. Das wußten wir zu jenem Zeitpunkt aber noch nicht. Frohgemut habe ich mein Stativ aufgebaut und mich auf die Lauer gelegt. Irgendwann ging dann die Sonne auf - nur von den Elchen ließ sich keiner blicken. Also ließ ich Diana bei der Kamera zurück, für den Fall, daß die Tiere doch noch auftauchen sollten. Ich bin dann zum Rand der Lichtung und auf Händen und Knien in den Wald gekrochen, bis ich an den Bach stieß. Meine Augen mußten sich erst an das Wechselspiel von grauen Schatten und dem ersten Sonnenlicht, das vom Wasser reflektiert wurde, gewöhnen. Vom Wasserfall war nirgends etwas zu sehen, was mich bei diesen Lichtverhältnissen aber nicht weiter beunruhigt hat.
Ich hockte mich also hin und zog die Tüte mit den Marshmallows aus der Tasche, die von letzter Nacht übriggeblieben waren. Und plötzlich sah ich ihn. Er kam direkt auf mich zu.«
»Wer, der Elch?« fragte Cole.
»Nein, ein Bär. Ein Jungtier und kleiner als ich, was ich aber nicht gleich erkennen konnte, weil er sich auf allen vieren bewegte. Ich dachte natürlich, er wolle mich angreifen, und ich wollte flüchten. Aber bevor ich auf den Füßen stand, war er schon da. Ich habe geschrien, und er ist stehengeblieben. So standen wir uns beide Auge in Auge gegenüber, und ich weiß nicht, wer von uns mehr Angst gehabt hat. Dann hat er sich auf seine Hinterbeine aufgerichtet, und ich habe ihm meine Marshmallow-Tüte entgegengeschleudert. Anschließend bin ich in eine Richtung losgerannt und er in die andere.
Irgendwie habe ich zu Diana zurückgefunden. Wir haben uns gleich auf den Rückweg gemacht und erst später festgestellt, daß wir ganz falsch waren. Je weiter wir gingen, desto fremder kam uns alles vor. Meine Schwester hat immer wieder gesagt, in allen ihren Büchern stünde zu lesen, daß man an einem Ort bleiben solle. Aber ich wollte nicht auf sie hören, und irgendwann hat sie dann so getan, als könne sie mit dem verletzten Knöchel keinen Schritt mehr tun. So ist es dann Nacht geworden, und mit den Streichhölzern aus ihrem Notkoffer konnten wir uns wenigstens ein Feuer machen, damit die Suchtrupps uns leichter finden würden.
Natürlich hatte ich auch vergessen, die Batterien in meiner Taschenlampe auszuwechseln. Als ich glaubte, Wölfe heulen zu hören, und in die Dunkelheit leuchtete, gaben sie ihren Geist auf. Diana wollte mir ihre Taschenlampe nicht geben, obwohl sie, wie könnte es auch anders sein, noch am Morgen die Batterien ausgewechselt hatte. Meine liebe Schwester meinte nämlich, wir bräuchten das Gerät noch für den Fall, daß Flugzeuge über uns hinwegzögen; denn dann könnten wir ihnen Leuchtsignale geben. Natürlich wußte ich, daß sie recht hatte, und so blieb mir nichts anderes übrig, als das Feuer zu vergrößern und so mehr Licht zu schaffen. Doch je öfter ich das unheimliche Heulen hörte, desto stärker näherte ich mich einem hysterischen Schreikrampf.
Irgendwann bibberte ich am ganzen Leib und bekam keinen vernünftigen Ton mehr heraus. Dann habe ich auch noch den Kopf weggedreht, damit meine Schwester nicht sehen konnte, wie mir die Tränen die Wangen hinabliefen.
Was kam ich mir in diesen Stunden wie eine Närrin vor! Vor allem auch deshalb, weil ich Diana immer mit allem möglichen aufgezogen hatte. Daß sie sich einen hübschen Blumenstrauß zusammenpflücken wollte und dabei an wilden Efeu geraten war; daß sie so große Angst vor Schlangen hatte; oder daß sie keinen Schritt ohne ihren blöden Notfallkoffer tat.
Und jetzt hockte ich wie ein Häufchen Elend da und habe wie ein dummes kleines Mädchen geheult, während Diana ganz ruhig dasaß und alles veranlaßte, was zu unserem Überleben und zu unserer Rettung notwendig war. Ich hatte die Fachbücher keines Blickes gewürdigt, Diana aber hatte sie von der ersten bis zur letzten Seite
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