Der Rausch einer Nacht
fortgelegt und sich mit einem neuen Magazin bewaffnet. »Dann wird das hier wohl eher etwas für dich sein? Weißt du, welche Überschrift der Artikel hat?«
Woher sollte er? Cole starrte seinen Onkel in resignierter Erwartung an.
»Nun, die Überschrift lautet: >Was Frauen nicht über die heutigen Männer wissen. <« Entrüstet schleuderte der Onkel das Blatt in eine Ecke und blitzte seinen Neffen zornig an. »Ich würde ja mal wirklich gern wissen, was mit euch jungen Leuten heutzutage los ist. Plötzlich verstehen die Männer die Frauen nicht mehr, und die Frauen nicht mehr die Männer. Und keine Seite begreift die Notwendigkeit, sich zu verheiraten, zusammenzuhalten und zusammenzubleiben und gute, gottesfürchtige Kinder großzuziehen.«
Cole fing wieder an, mit dem Magazin auf sein Knie zu klopfen. Für seine Verhältnisse stand er kurz vor der Explosion. »Ich glaube, ich habe dir schon bei früheren Diskussionen erklärt, daß du dich kaum in der Position befindest, anderen Vorträge über die Segnungen der Ehe und der Kinderaufzucht zu halten, hast du doch weder im einen noch im andern Bereich jemals praktische Erfahrungen sammeln können!«
»Ja, leider, zu meinem immerwährenden Bedauern«, gab der Onkel zwar zu, ließ sich davon aber nicht im mindesten abhalten und zog schon die nächste Zeitschrift aus einem Stapel.
»Jetzt schau dir das mal an.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Titelseite und hielt sie seinem Neffen direkt vors Gesicht.
Cole warf nur einen Blick auf das Magazin und verzog angewidert das Gesicht. »Der Enquirer? Du läßt dir ein solches Revolverblatt kommen?«
»Letty liest ihn gern, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Viel wichtiger ist, daß deine Generation jedes Gemeinschaftsgefühl verloren hat und sich nur noch für sich selbst interessiert. Lies nur, wie die jungen Leute heutzutage sich vor allem drücken. Wirf mal einen Blick auf diese hübsche junge Frau hier. Sie hat sich einen Namen gemacht und gehört zu den oberen Zehntausenden von Houston. Mit anderen Worten, die junge Dame ist schwer reich.«
»Ja und?« Cole verschwendete keinen Blick auf das Sensationsblatt, sondern starrte seinen Onkel an.
»Und? Ihr Verlobter hat sie sitzenlassen, für ein halbwüchsiges italienisches Model, das sich halbnackt mit ihm am Strand fotografieren läßt!«
Als der Neffe noch immer keine Anstalten zeigte, sich diesen >Skandal< anzusehen, ließ Cal die Zeitschrift sinken. Doch damit waren ihm noch lange nicht die Argumente ausgegangen. »Er hat sie einfach fallenlassen, ohne ihr Bescheid zu geben. Das arme Ding hatte schon Pläne für die Hochzeit geschmiedet.«
»Hat deine Geschichte auch eine Pointe?« fragte Cole säuerlich.
»Verdammt noch mal, ja! Die Pointe lautet, daß dieser Schuft genauso in Houston geboren wurde und aufgewachsen ist wie das Mädchen, dem er einen Tritt verpaßt hat. Also, wenn jetzt schon Texaner anfangen, so mit Frauen umzuspringen und auf alle traditionellen Werte zu pfeifen, dann geht es mit unserem ganzen verdammten Land aber rapide den Bach hinunter!«
Der Neffe griff sich an den Hinterkopf und fing an, seine Nackenmuskeln zu massieren. Diese Debatte führte zu rein gar nichts. Dabei hatte er dringliche geschäftliche Angelegenheiten mit Cal zu regeln und zu besprechen. Verdammt, er mußte seinen Onkel irgendwie von diesem absurden Thema fortbringen. Früher war ihm das auch oft genug gelungen, aber heute schien Cal geradezu besessen davon zu sein, seinen Neffen in den Ehestand zu treiben. Cole beschlich das ungute Gefühl, daß er heute kein Glück haben würde.
Für einen Augenblick überlegte er, ob der alte Mann vielleicht senil geworden war. Aber er verscheuchte den Gedanken gleich wieder. Cal hatte sich kein bißchen verändert. Er war immer schon stur gewesen, und wenn es sein mußte, konnte er sich wie eine Bulldogge in ein Thema verbeißen. Wie Cole schon John Nederly erklärt hatte, gab es nichts und niemand auf der Welt, das Cal von einem einmal angepeilten Kurs abbringen konnte. Als man auf seinem Land Öl gefunden hatte, hatte er gleich erklärt, daß das viele Geld sein Leben kein bißchen verändern würde. Und, bei Gott, er hatte sein Wort gehalten. Cal drehte immer noch jeden Dollar zweimal um, ehe er ihn ausgab. Er fuhr weiterhin seinen mittlerweile zwanzig Jahre alten Kleinlaster, der noch mit Knüppelschaltung ausgerüstet war. Und auch seine Garderobe hatte sich keinesfalls geändert: Tagein, tagaus trug er Jeans und
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