Der Rausch einer Nacht
rechtfertigen kann!«
Dieser Vorwurf war natürlich nur rhetorisch gemeint, und er rechnete auch nicht mit einer Antwort. Doch Letty konnte ihm dazu etwas sagen. Sie bat ihn, sich von all der Aufregung Calvins nicht ablenken zu lassen und direkt in sein Herz zu sehen.
»Deinem Onkel sind Geld und Reichtum nicht mehr so wichtig. Ihm geht es darum, etwas von sich zu hinterlassen. Er sucht nach einer Art Unsterblichkeit, und die einzige Möglichkeit dazu besteht darin, in seinem Sohn fortzuleben.«
»Ich bin aber nicht sein Sohn!«
Letty lächelte ihn auf ihre liebenswürdige Weise an. »Doch, in seinen Augen schon.«
»Wenn es ihn nach solcher Unsterblichkeit drängt, dann hat er sie doch schon gefunden, in Travis' Kindern. Und Travis ist genauso sein Großneffe wie ich. Selbst wenn ich eines Tages einmal Kinder haben sollte, so wären die für ihn keine engeren Verwandten als Ted und Donna Jean.«
Die Haushälterin feixte. »Travis' Sohn ist träge und denkfaul. Vielleicht wird er das eines Tages ablegen können, aber so, wie es jetzt aussieht, möchte Calvin ganz gewiß nicht in Ted fortleben. Donna Jean hingegen ist zimperlich und viel zu schüchtern. Auch sie wird eines Tages möglicherweise Selbstbewußtsein entwickeln, aber zur Zeit...« Sie schwieg und überließ es Cole, den Satz zu beenden.
»Hast du denn eine Ahnung, was ihn zu dieser plötzlichen Besessenheit nach Unsterblichkeit gebracht hat?« fragte der Neffe.
Die alte Frau zögerte einen Moment und nickte dann. »Sein Herz wird immer schwächer, und Dr. Wilmeth kommt öfter als früher zu uns. Der Arzt meint, an seinem Herzen sei nichts mehr zu reparieren.«
In Coles Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Zuerst wollte er das nicht wahrhaben, dann suchte er nach Gründen, die für das Gegenteil sprachen, und schließlich schüttelte er den Kopf. Er wußte, wie sinnlos es war, Cal dazu zu bewegen, nach Dallas zu fahren und einen Spezialisten aufzusuchen. Nur einmal hatte er sich, und das auch nur nach monatelangen Debatten, dazu breitschlagen lassen, sich von anderen Ärzten untersuchen zu lassen. Doch er hatte sie alle mit Wilmeth verglichen, und dabei hatten alle schlecht abgeschnitten. Seitdem hatte der Neffe es aufgegeben, einen neuen Vorstoß zu wagen.
Letty atmete schwer, und Tränen standen in ihren Augen, als sie ihn jetzt ansah. »Dr. Wilmeth meint, es sei nur noch eine Frage der Zeit...« Sie erhob sich rasch und floh aus dem Zimmer.
Cole beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und versuchte, mit der Furcht und dem Unheil fertig zu werden. Mit hängenden Schultern und verschränkten Händen starrte er auf den leeren Sessel des Onkels, während Erinnerungen an angenehme Abende und lebhafte Gespräche auf ihn einstürmten. Dreißig Jahre lang hatte der junge Mann sich eigentlich nur hier zu Hause gefühlt. Und das alles würde mit Cals Tod ebenfalls sterben.
Wenn Dr. Wilmeth recht hatte, blieb dem Onkel nicht mehr viel Zeit. Er versuchte sich vorzustellen, in Zukunft nicht mehr hier hinaus auf die Ranch zu kommen - und alles in ihm wurde schwarz. Dieser alte Mann und sein Hof waren die Grundfeste für Coles Leben. Gut, er hatte die Cowboystiefel und Jeans seiner Jugend längst gegen italienische Schuhe, maßgeschneiderte Anzüge aus England und maßgeschneiderte Hemden aus ägyptischer Baumwolle eingetauscht, doch unter diesem edlen Äußeren steckte immer noch der junge Mann mit den Rancherklamotten.
In frühen Jahren hatte Cole seine Herkunft verabscheut. Von dem Tag an, an dem er nach Houston gegangen war und dort das College besucht hatte, hatte er hart an sich gearbeitet, alle Cowboywurzeln abzulegen und auszurotten. Er veränderte seinen Gang und seine Sprache, bis niemand mehr ihn für einen breitbeinigen, slangbehafteten Westtexaner halten konnte.
Und nun drohte das Schicksal damit, ihm die letzte Verbindung zu nehmen, die er zu seinen Wurzeln hatte. Der erwachsene Cole wollte ganz verzweifelt alles bewahren, was ihm aus seiner Vergangenheit noch geblieben war.
Die Drohung seines Onkels, alles Travis' Kindern zu vermachen, war vollkommen vergessen, während Cole fieberhaft überlegte, ob das Unvermeidbare nicht wenigstens hinausgezögert werden konnte und wie man Cal den Lebensmut zurückzugeben vermochte, damit er seine letzten Jahre genießen durfte. Oder seine letzten Monate ... oder Tage. Coles Gedanken drehten sich jedoch in einem unablässigen Kreislauf von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit.
Ihm
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