Der Rebell - Schattengrenzen #2
Brote.«
Ach verdammt, der Kühlschrank war ja leer. Er griff sich an die Stirn. Um zehn Uhr abends fiel das Einkaufen ohnehin hinten runter.
Ärgerlich stieg er nach oben. Vor Chris’ Zimmer hielt er inne. Ein feiner Streifen Licht fiel unter der Tür auf die Dielen. Offenbar schlief Chris nicht. Bis auf das leise Knarren des Lattenrosts drang kein Geräusch nach draußen. Wahrscheinlich zeichnete er. Dieses kleine Faultier. Oliver musste lächeln.
Mit einem leichten Klopfen trat er ein.
Chris saß mit verheultem Gesicht auf dem Bett, vollständig angezogen, sogar mit Schuhen. In seinen Händen hielt er ein auffällig großes Smartphone. Das Displaylicht verlieh seinem Gesicht einen kränklichen Ausdruck. Mit den Fingern wischte er sich die Tränen fort.
Block und Stifte lagen auf dem Fußboden, ebenso sein Rucksack und die Sporttasche. Ein paar zusammengeknüllte Klamotten sahen daraus hervor.
Der jämmerliche Anblick schmerzte. Einerseits erwachte bleiern schwer neue Sorge um Chris, andererseits konnte sich Oliver nun denken, wie Aboutreika sie gefunden hatte.
Vertrauensmissbrauch und der klare Verstoß gegen das Verbot von George. Sogar Camilla hielt sich daran, wenn er sagte, sie solle ihr Privatgerät nicht anschalten.
Ein einziger Blick in Chris’ Augen reichte, um die pochende Wut zu vergessen.
Er hatte sie sicher belauscht. Das Unverständnis in seiner Mimik übertraf Schmerz, verletzten Stolz und Ärger. Eines fand er in dem rot verweinten Gesicht nicht: Schrecken.
Leise schloss er die Tür hinter sich. Das leise Kratzen stumpfer Krallen sagte ihm, dass er Opa ausgesperrt hatte.
Im Moment war sie nicht so wichtig wie Chris. Ihm musste er so viel erklären.
»Du hast alles gehört?«
Chris’ Lippen klafften auseinander. Er wollte etwas sagen, doch seine Mimik verhärtete sich. Mit gesenktem Kopf und trotzig vorgeschobenem Unterkiefer starrte er zu Oliver.
Nicht gut. Er verschloss sich. Hinter der Mauer aus Wut und stummem Widerstand verbarg sich der verletzte Junge. Entsprechend hatte sich Chris auch verhalten, wenn die Wut seines Vaters über ihm hereingebrochen war. Unter seinem Panzer litt der Junge Höllenqualen.
Oliver ging zu ihm.
Chris’ brennender Blick bohrte sich tief in seine Brust. Ihn jetzt zu bedrängen würde nicht viel bringen.
Stumm setzte Oliver sich vor ihn auf den Boden, umschlang die Beine und musterte ihn. Da Chris über ihm saß, gab er dem Kleinen die Kontrolle. Mit etwas Pech würde das erbitterte Schweigen noch eine ganze Weile anhalten.
Trotzdem blieb Oliver keine andere Wahl. Chris stand davor eine Dummheit zu begehen, wenn er die nicht schon längst begangen hatte.
Oliver blieb still sitzen und wartete.
Zeit verstrich. Er hörte Opa, die weiterhin an der Tür kratzte, Daniels nackte Füße auf dem Marmorboden in der Halle. Er sprach leise mit Micha.
Vorhin hatte er selbst laut und deutlich gesprochen. Natürlich musste Chris alles mit angehört haben. Nebenan knarrte Matthias’ Tür. Einen Moment später schlug die Badezimmertür zu. Der stetige Wasserstrom verriet, dass er duschte. Auch George verließ sein Zimmer. Er telefonierte offenbar mit seiner Familie. Wen sonst sollte er Spätzchen nennen, als seine Frau? Matthias sicher nicht.
»Du bist ein Lügner.«
Die Worte kamen überraschend. Irritiert hob Oliver den Kopf.
»Lügner? Warum?«
Chris starrte ihn aus brennenden Augen an. Er presste wütend die Lippen aufeinander. »Amman ist der einzige gute Mensch. Er kümmert sich wenigstens um uns, anders als du oder Opa.«
Diese Worte schnitten tief. Er hatte Chris und Micha wirklich viel zu lang allein gelassen. Vor ein paar Tagen hätte er sich gewünscht, sich noch länger vor der Welt zu verstecken. Was für ein Egoist er in dem Moment gewesen war. Und warum? Weil ihn jeder allein gelassen hatte, bis auf Chris, Micha, Daniel und Matthias.
Oliver nickte. »Du hast recht, Chris. Und ich hätte mich noch viel länger verkriechen wollen, wenn es nach mir gegangen wäre.«
In den wasserblauen Augen Christians schimmerten neue Tränen. Diese Ehrlichkeit zollte einen hohen Preis, das Vertrauen von Chris. Er konnte es nicht verstehen. Aber Oliver war es leid, seine Gefühle zu verstecken.
»Es war egoistisch von mir, das wissen wir beide. Aber ich konnte einfach nicht anders.«
Chris ballte die Fäuste. »Ihr Großen könnt immer nur nicht, und was ist mit uns? Micha denkt auch nicht anders als ich. Aber du hast ihn ohnehin lieber als mich. Ich bin
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