Der Rebell - Schattengrenzen #2
alles in ihm dagegen. Es klang falsch, so als wäre alles immer nur schlecht gewesen. Das stimmte schließlich nicht. Es gab schöne Jahre, eine Zeit, in der alles okay war, in der es zu keinem Streit zwischen seinen Eltern kam, sogar eine Zeit, in der die beiden fast nicht aus dem gemeinsamen Bett wollten, woraufhin auch bald Michael und Christian zur Welt kamen.
»Ich hatte eine ziemlich gute Zeit, in der meine Eltern für mich da waren, auch noch in der Anfangszeit, nach der Geburt von Chris und Micha. Damals war einfach alles leicht, weil wir eine Familie waren. Das änderte sich erst nach Ellis Geburt.«
»Elli? Deine Schwester, oder?«
»Halbschwester«, sagte er leise. Er schob die Hände in die Hosentaschen und betrachtete seine übereinandergeschlagenen Beine. »Dunkle Haut, dunkle Augen, dunkle Haare und so lieb und niedlich wie kein anderer aus der Familie. Sie muss Amman Aboutreikas Tochter sein, denn sie sieht seinem Sohn Jamal verblüffend ähnlich.«
»Sah, oder?«
Irritiert musterte er Christoph, der seinen Blick ernst erwiderte. Sah ? Ach ja …
Er nickte. »Schon richtig.«
»Du hast damit nicht abgeschlossen, nicht?«
Christophs Worte deckten sich mit dem, was er auch Daniel gesagt hatte. Vielleicht, wenn er bei Amman lebte, ihn aushorchte, konnte er endlich einen Schlussstrich ziehen. Diese Erlösung stand ja nun direkt bevor. Walter war tot.
»Dein Vater konnte damit nicht umgehen, richtig?«
»Er war seitdem nicht mehr der Gleiche. Das Wissen, dass Elli nicht sein Kind war, hat ihn vollkommen niedergedrückt. Dabei bin ich mir sicher, wäre sie in Ammans Familie aufgewachsen, hätte er sie geliebt. Sie besaß dieses sonnige, herzliche Wesen, das ihn bei anderen Kindern immer mitreißen konnte.«
»Betrogen zu werden und es sich einzugestehen ist schon schwer, Olli. Vielleicht gab es Momente, in denen er deine Schwester geliebt hat, aber sie war auch immer eine bittere Erinnerung.«
»Trotzdem ging alles immer irgendwie weiter. Es hat mir nicht geschadet, auf die Kleinen aufzupassen. Das hat mir nur gezeigt, wie wichtig mir meine Geschwister sind.«
Chris nickte. »Andererseits verbiegst du dich und gibst alles für sie auf. Das ist es, was ich meine. Du bist an die Stelle der Eltern getreten. Du bist als Kind bereits erwachsen gewesen.«
Oliver hob die Schultern. »Aber ich glaube, das, was in den letzten zehn Monaten passiert ist, hat mich noch weiter verändert.«
»Fraglos …« Christoph deutete zu der Glastür, die aufschwang. Camilla winkte.
»Olli, Daniel will dich sehen.«
In dem engen Behandlungszimmer gab es kaum genug Raum zwischen Liege, Sideboard und Schrank, um für Arzt, Assistent und Schwester Platz zu bieten. Oliver stand oberhalb von Daniels Kopfende. Das kalte Fensterbrett drückte sich unangenehm in die Rückseite seiner Oberschenkel. Der Versuch, sich so klein wie möglich zu machen, schlug fehl. Die Blicke des Assistenten verdeutlichten, was er von Daniels zwingendem Wunsch, Oliver bei sich zu haben, hielt. Nichts.
Während der schlaksig lange Arzt energisch manövrierte und sich auf dem engen Raum mit scheinbar traumwandlerischer Sicherheit bewegte, übte sich die junge Schwester nur in den notwendigsten Handgriffen. Wenn möglich, drängte sie sich lieber schüchtern in den Rahmen der Verbindungstür. Sie überließ es ihrem grün gekleideten Kollegen, Spritzen aufzuziehen, die Infusionskanüle zu legen und Blutdruck zu messen.
Der Blick des Assistenten verdüsterte sich, als er die Tattoos auf Daniels Arm entdeckte. Die bunten Haare und Ohrringe reichten ihm wohl, sich ein Bild über Daniel zu machen.
Don’t judge a book by it’s cover.
Der Spruch traf bei Daniel zu hundert Prozent zu.
»Sind Sie mit dem jungen Mann verwandt, oder sind Sie Freunde?«
Irritiert musterte Oliver den Arzt, der ihn über den Rahmen seiner ovalen Brille auffordernd anstarrte.
»Sie sind gemeint.«
Oliver nickte. »Er ist mein Freund.«
Der Assistent reichte dem Arzt eine weitere Spritze. Dieser kontrollierte die Füllung und schnickte die Luftblase an, bevor er sie durch die Hohlnadel ausließ.
»Freund wie Freund oder Freund wie Liebhaber?«, fragte der Arzt beiläufig.
»Beides.« Die Antwort kam wunderbar leicht über seine Lippen, als wäre es nie anders gewesen.
Der Arzt schenkte seiner Antwort keinerlei wertenden Beigeschmack, als er mit wenig Feingefühl die Nadel in Daniels Arm rammte. Beinahe genauso schnell drückte er den Kolben nieder.
»Gut.
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