Der Rebell - Schattengrenzen #2
den Kopf.
»Warum sollte ich dir nicht glauben?«, fragte Oliver.
»Weil du nicht das siehst, was ich sehe.«
Bist du dir da so sicher?
Er dachte an das seltsame Erlebnis des vergangenen Tages.
Insgeheim weigerte er sich weiterhin, an Geister oder Erscheinungen zu glauben. Zu viel Platz wollte er diesen Dingen nicht einräumen, aber hinter den Spiegeln lauerte noch immer die flackernde Welt, Elli, Marc und diese seltsamen Wesen.
Es gibt sie, warum leugnest du es denn?
Oliver schüttelte den Kopf. Warum konnte die Stimme nicht mal die Klappe halten?
Der Alte gestern war real.
Ja, war er. Seine Hände hatten hinterher erdig gerochen.
Hier hatte sicher Walter seine Finger im Spiel. Vielleicht hing es sogar mit dem Fall seines Vaters zusammen. Die Würgemale waren real.
Er beobachtete Micha, der sich gerade aus der Wanne hochstemmte und schamhaft beide Hände vor seiner Körpermitte verschränkte.
Dankbar für die Ablenkung tippte Oliver ihn an. »Seit wann bist du denn so ein Prinzesschen ? Ich weiß, wie du aussiehst. Schließlich haben wir zu Hause oft miteinander gebadet.«
»Opa sagt, du bist schwul.«
Autsch, das ging in die Weichteile.
Na wunderbar – ließ der alte Sack sonst noch was aus, um ihn schlecht dastehen zu lassen? Wahrscheinlich hatte er es als ansteckende Krankheit dargestellt, diese Ratte. Stirnrunzelnd reichte Oliver ihm ein Handtuch. Micha wand es sich um den Körper und kletterte aus der Wanne.
»Klar, ich bin schwul – und weiter? Das ist nichts Schlimmes. Du weißt, dass ich mit Frank zusammen war.«
Michael nickte.
»Schwul zu sein heißt nur, dass ich mit einem Jungen gehe, nicht mit einem Mädchen.«
Sein Bruder schwieg und schlüpfte in seine Kleidung.
Oliver ließ das Wasser ab. Nachdenklich setzte er sich auf den Wannenrand.
Beängstigend, wie stark Michaels Knochen durch die Haut stachen. Er konnte alle Wirbel und jede Rippe sehen.
»Erzähl mir endlich, was los war. Ich werde es nicht anzweifeln.«
Michael schüttelte den Kopf. Er griff nach einer Bürste. Während er sich kämmte, vermied er den Blick in den Spiegel.
Er weiß von der anderen Seite.
In Olivers Magen krampfte sich alles zusammen. Unfug. Außer Dunst war nichts zu sehen, daran lag es sicher. Trotzdem fiel es auf.
Behutsam drehte er Michael zu sich. »Komm schon …«
»Sagst du auch wirklich nicht, ich sei dumm?«
Oliver schüttelte den Kopf. Sanft schloss er den Jungen in die Arme. Warme Hände krallten sich in sein Shirt.
»Da war immer wieder dieser Mann …«
Hinter ihm gurgelte der Abfluss. Michael zuckte so heftig zusammen, dass ihm die Knie wegknickten. Rasch fing Oliver ihn auf und zog ihn auf sein Knie. »Alles ist gut.«
Vehement schüttelte Michael den Kopf. »Hier ist nichts gut«, wisperte er.
Olivers Herz machte einen schmerzhaften Satz.
Habe ich es nicht gesagt?
Mühsam rang Micha nach Luft. »Der Mann, der Chris gewürgt hat, der war schon oft da.« Seine Stimme nahm einen schrillen Klang an. »Am Anfang bin ich ihm mal gefolgt, bis in den Keller …« Er stockte.
Unwillkürlich beschleunigte sich Olivers Herzschlag. »Hat er dir was getan?«
»Er ist in einer Wand verschwunden.«
Irritiert musterte Oliver ihn.
»Wirklich – er hat sich auf die gleiche Weise aufgelöst, nachdem er versucht hat, Chris zu töten.« Verzweiflung lag in seiner Mimik. »Ich schwöre es …«
Oliver legte ihm den Finger über die Lippen. »Ist gut, sag das aber vielleicht nicht den anderen.«
Michael schob unwirsch seine Hand zurück. »Aber wenn …«
»Wir fragen, wie es Chris geht, und danach zeigst du mir die Stelle, wohin der Mann verschwunden ist.«
»Hast du einen Verdacht?« Daniels Stimme drang aus der Küche.
Oliver blieb an der Tür stehen und spähte hinein. Daniel saß rittlings auf einem der Stühle am Esstisch. Er beobachtete Gregor Roth bei seinem unermüdlichen Streifzug durch den Raum. Seit Oliver ihn kennengelernt hatte, schien er noch ein paar Kilo zugenommen zu haben. Der Pullover spannte über seiner Leibesmitte. Sein gelichteter Hinterkopf schimmerte, wenn er unter der Küchenlampe entlangging.
In seiner Nervosität lag eine gewisse Aggression. Seine Brauen hatten etwas von aufgemalten Teufelsbrauen. Er knurrte leise. Ständig zupfte er an seinem gestutzten weißen Bart. Offenbar dachte der Hauptkommissar nach. Schließlich nickte er.
Gegenüber Daniel saß Bernd Weißhaupt, der Berliner Kriminaloberkommissar. Seine muskulöse, massige Erscheinung
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