Der Rebell - Schattengrenzen #2
es mit seinem gedrungenen Leib und den kurzen, wuchtigen Hinterläufen an einen Dinosaurier. Auf einem abstrus langen Hals pendelte ein unförmiger, augenloser Schädel. Lediglich sein Maul teilte die glatte Fläche. Feuchte Häute verbanden die massiven Kiefer. Speichel troff herab. Von seinem Leib wehte feuchte Wärme. Das Ding stank wie der Atem eines kranken Menschen. Waren das Fäulnis oder Tod?
Du kennst es.
Das Ding gab es nicht. Geistererscheinungen waren eine Sache, Monster eine ganz andere. Er musste schlicht durchgedreht sein.
Hinter den Spiegeln warten sie.
Michael drängte sich Schutz suchend hinter Oliver.
Er sah es auch?
Dieses Ding war bar jeder Logik. Logik? Ein solches Wesen war nicht logisch.
Tief in seinem Magen ballte sich panische Angst, die sich zu einem erstickenden Gefühl manifestierte. Gelähmt, unfähig sich zu regen.
Du kennst sie, fürchte sie nicht.
Nein, niemals. Das war unlogisch. Dieses Ding gab es nicht.
Das Wesen wich zurück. Obwohl es keine Mimik besaß, wirkte die Reaktion überrascht. Es stieß mit seinem Schädel gegen die Decke. Putz, der sich in Feuchtigkeitsblasen von der Gewölbedecke schälte, bröselte herab.
Es verschwand nicht. Was war das?
Sie wachen hinter den Spiegeln.
Richtig – aber was verband er damit? Angst, Gewalt, Tod vielleicht?
Ja, zugleich auch nein. Schlimmer als das, was aus Marc geworden war, konnte es nicht sein.
Der Schädel zuckte nach vorn, ungeachtet der Brettertür, die er durchbrach. Holz splitterte. Staub wirbelte auf.
Instinktiv wich Oliver aus. Michael schrie.
Sah Weißhaupt das Gleiche?
Oliver hechtete zur Seite und wirbelte herum. »Micha, lauf!«
Am Rande seines Bewusstseins bemerkte er, wie der Kleine fortstürzte. Im gleichen Moment prallte er mit dem Rücken in einen Alkoven zwischen Bretterwand und Stütze.
Der Schädel zuckte herab. Entsetzt wandte Oliver den Kopf. Er kniff die Augen zusammen. Wie sinnlos.
Nichts passierte.
Schwammig faulige Wärme war alles, was er spürte.
Warum geschah nichts? Folgte das Ding etwa Michael?
Erschrocken hob er die Lider.
Der riesige Schädel pendelte über ihm. Die Kiefer klafften auf. Faulende, dennoch spitze Zahnreihen staffelten sich wie ein Mahlwerk hintereinander. Es besaß keine Fänge, aber das brauchte ein solches Wesen auch nicht.
Hitze und Speichel drangen aus dem lippenlosen Maul. Der Gestank, der davon aufstieg, raubte ihm den Atem. Keuchend drängte er sich zur Seite. Die raue, klamme Wand fühlte sich unangenehm an, real, genauso wirklich wie dieses furchtbare Wesen.
Weg …
Schwäche kroch durch seine Glieder. Alle Kraft wich aus ihm.
Er ist harmlos.
Nein, nicht … Das Flattern in seiner Brust schaffte es nicht mehr, ihm Kraft zu geben. Luft … sie war fort, so sehr sich seine verkrampften Lungen blähten, kein Hauch davon kam an.
Panik explodierte in seinem Kopf, die in grauen Nebeln versank. Der knöchern feste Schädel des Wesens stieß unsanft gegen seine Brust. Sein Herz ruckte schmerzhaft. Gleichzeitig füllten sich seine Lungen mit eisiger, scharfer Luft. Ein furchtbarer Moment reiner Agonie …
Einen Augenblick kippte die Welt.
Wächter …
Es war nicht diese andere Stimme, die ihn sonst begleitete. Wer sagte das?
Was …?
Es klang so bekannt. Wer sprach diese Worte aus?
Wächter, Totenwächter, Seelenfresser …
Er hörte es – seine eigene Stimme. Er spürte den scharfen Schmerz in seiner Kehle, das Reißen der Stimmbänder.
Warum? Woher nahm er das Wissen? Was beseelte gerade seinen Körper?
Du weißt, was sie sind!
Nein.
Er schüttelte den Kopf. Die Antwort drängte bereits hervor. Er presste die Kiefer aufeinander, bis der scharfe Schmerz in Nase und Nebenhöhlen schoss.
Du warst tot.
Seine Lider flatterten. Im gleichen Moment wurden seine Knie weich. Es stimmte – er erkannte das Geschöpf. Es hatte jenseits von Marcs Zimmer gelauert. Kurz bevor die Ärzte ihn zurückgeholt hatten, hatte er es gesehen.
Wie kam das Ding hier her?
Bin ich tot?
Habe ich je gelebt?
Etwas von ihm war hinter den Spiegeln zurückgeblieben. Seitdem hörte er die andere Stimme. War das der Teil, der sich von seiner Seele abgespalten hatte?
Schattenlose Helligkeit flimmerte auf, bevor Finsternis alles um ihn verschlang. In der Sekunde drang etwas mit gleißendem Schmerz in seinen Verstand. Das Flackern von Irrsinn, etwas vollkommen Fremdes, bar jeder Menschlichkeit, bohrte sich in ihn. Eis und Lava explodierten in seinem Schädel. Sein
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