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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Eingang blockierten, obwohl sie gar keine Hotelgäste waren. Der Mann im Revier verband Max weiter ins Polizeipräsidium. Als der Zusammenhang des merkwürdigen Briefes mit dem Mord an dem Wissenschaftler klarwurde, ging alles ziemlich rasch. Maria solle, so schnell es ging, ins Präsidium kommen. Der Kommissar wolle selbst mit ihr sprechen.
    Maria eilte noch schnell nach Hause. Sie wechselte die blaue Schürze und das dunkelblaue Kleid gegen ihr schwarzes Kleid, das sie zu Beerdigungen trug. Das schien ihr angemessen für den Besuch beim Kommissar. Schwarzes Kleid beim Thema Tod, fand sie, das gehörte sich so.
     
    Kommissar Fritz Innerhofer trank an diesem Morgen schon seine fünfte Tasse Kaffee. Seine Sekretärin wusste auf diese Weise immer, wie es um die aktuellen Ermittlungen stand. Je mehr Kaffee, desto schlechter lief es. Fünf Tassen schon in der Früh bedeuteten: Es lief sehr schlecht. Die Gespräche mit der Familie des ermordeten Professors hatten so wenig erbracht wie die Spurensuche im Hotelzimmer. Außer der Erkenntnis, dass man von einem Profitäter auszugehen hatte – derartig perfekt war das Zimmer gereinigt worden. Es gab bislang keinen vernünftigen Hinweis und keinen Verdächtigen. Es gab nur diesen einen Namen: Tretjak.
    Man hatte die Morde auf der bayerischen Autobahn und im Bozener Hotelzimmer schnell miteinander in Verbindung gebracht. Der Münchner Kommissar hatte einen dubiosen Geschäftsmann namens Tretjak erwähnt, der in der Sache eine Rolle spiele, aber er stochere dabei noch total im Nebel. Innerhofer hatte sich den Namen gemerkt – er war Eishockeyfan, und ein legendärer sowjetischer Eishockey-Nationaltorwart hieß Wladislaw Tretjak. Er hatte es im Gespräch mit Maler gleich angemerkt, aber der Kollege hatte keine Ahnung von Eishockey und sagte nur: »Mein Tretjak heißt Gabriel mit Vornamen. Ein sehr merkwürdiger Mann.«
    Und dann der Anruf heute morgen. Als die Sekretärin den Kopf durch die Tür steckte und mitteilte, Frau Unterganzner sei jetzt da, sagte Innerhofer: »Gut, sie kann gleich hereinkommen.«
    Zimmermädchen war vielleicht nicht ganz der richtige Begriff, dachte er, als ihm die kleine, zierliche, alte Maria gegenübersaß. Sie gab ihm das Kuvert. Innerhofer öffnete es und holte vorsichtig die Pergamentseite heraus. Er las den Text und sagte dann: »Also, Frau Unterganzner …«
    »Bitte, Herr Kommissar, sagen Sie Maria zu mir. Alle sagen Maria zu mir. Ich höre meinen Nachnamen nie, er macht mich nervös.«
    »Gern. Also, Maria, dann erzählen Sie doch mal die Geschichte von diesem Gabriel Tretjak.«
    »Aber ich kann gar nix erzählen. Ich hab ihn doch seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen. Ich weiß gar nichts von ihm.«
    Für solche Momente hasste Innerhofer seinen Job. Erst die Erwartung, dann erweist sich die Hoffnung als einzige Luftblase. Nach außen zeigte er keine Reaktion, er schaute Maria nur an.
    Sie sagte: »Ich kannte ihn ja nur als Kind.«
    Es dauerte weitere drei Tassen Kaffee für den Bozener Kommissar – Maria trank nichts –, bis er den Rahmen der Geschichte vor Augen hatte, die Maria über Tretjak zu erzählen hatte. Es war nicht immer ganz einfach, ihr zu folgen, denn die alte Frau war keine geborene Erzählerin. Am häufigsten wiederholte sie den Satz: »Der Gabriel, der war ein so lieber Junge!«
    Die Mutter von Gabriel Tretjak war eine tüchtige Türkin, die Ende der siebziger Jahre zusammen mit ihrem Mann das Management des Hotels
Zum Blauen Mondschein
übernommen hatte. Sie war klug und fleißig, ihr Mann Paul dagegen ein Nichtsnutz, der dauernd hinter irgendwelchen Frauen her war. Es gab noch einen Sohn aus Pauls früherer Ehe. Musste ein übler Typ gewesen sein, der immer für Ärger sorgte, wenn er zu Besuch kam. Er war etwa zehn Jahre älter als Gabriel, und Gabriel hatte sich immer vor ihm gefürchtet. Maria wusste seinen Namen nicht mehr.
    Dann erkrankte die Mutter an Krebs, Gehirntumor, die Krankheit nahm schnell einen schweren Verlauf. Und Gabriels Vater, der windige Paul, machte sich aus dem Staub, von einem Tag auf den anderen. Er ließ die Familie im Stich, die todkranke Frau und den kleinen Gabriel. Die Mutter musste ihre Familie aus der Türkei um Hilfe bitten. Ihre zwei Schwestern kamen mit Anhang. Alle sprachen nur Türkisch.
    Das war die Geschichte, die Maria Unterganzner über Gabriel Tretjak zu erzählen hatte: die Koordinaten einer schrecklichen Kindheit. Zwei Szenen hatte sie noch besonders in Erinnerung.

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