Der Regler
kann ich Sie morgen früh erreichen?«
Als sie draußen wieder im Volvo saß, sagte sie zu Paul: »Was bitte soll dieser Typ mit meinem Sohn zu tun haben?«
»Es gibt Leute, die behaupten, fünfzig Prozent aller Drogengeschäfte in dieser Stadt laufen über diesen Mann. Mir wäre es auch lieber, wenn Lars mit ihm nichts zu tun hätte.«
Sie sah ihn an: »Wer hat eigentlich von wem gelernt? Dein Sohn von dir oder du von deinem Sohn?«
Er antwortete nicht. Sie fuhren weiter. Sie überquerten die Isar, fuhren an der schönen Fassade des Münchner Volksbads vorbei und am Münchner Gasteig, dem hässlichen ziegelgemauerten Kulturzentrum. Irgendwann stoppte Paul seinen Volvo vor einem Häuserblock.
»Hier musst du reingehen, durch den Innenhof. Es gibt mehrere Eingänge, du nimmst Nummer 11 c, dritter Aufgang, gehst in den dritten Stock. Da ist eine graue Eisentür, auf der nichts steht, das ist der Club.
Nadraj Tempel
, spricht man wie Nadrasch-Tempel. Ziemlich angesagt, soll ein Top-Laden sein. Ich weiß es nicht, war ja noch nicht drin.« Paul lächelte. Sie stieg aus. »Das wird höchstens zehn Minuten dauern. Mach’s genau wie bei dem Banktypen.«
Der Mann erwartete sie bereits an der Eisentür. Er trug etwa zehn Ohrringe an jedem Ohr, die Ohrläppchen hingen schwer nach unten. »Guten Tag«, sagte er, »mein Name ist Kurt Meyer. Mir gehört der Laden. Kommen Sie doch bitte rein.«
Es war kurz vor 18 Uhr, der
Nadraj Tempel
öffnete erst in ein paar Stunden. Nur zwei spärliche Lichter brannten, es war kein Personal zu sehen. Sie standen an einer dunklen Bartheke.
»Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein«, sagte Charlotte Poland, »ich möchte es sehr kurz machen.« Sie unterbreitete auch hier ihr Angebot über 10 000 Euro, die Meyer bekäme, wenn Lars bis übermorgen zurück bei ihr sei. Bei ihm war die Frist einen Tag später angesetzt. Mit irgendwelchem Ärger drohte sie ihm nicht. Sie sagte noch, sie habe auch mit Herrn Borbely gesprochen, dem Mann von der Bank.
Kurt Meyer war altersmäßig schwer zu schätzen, irgendwo um die fünfzig, er war sehr dünn, und er hielt während des kurzen Gesprächs die meiste Zeit die Augen geschlossen. Sie war sich nicht sicher, ob er unter Drogen stand. Nur einmal sagte er etwas, und dabei hatte er auch die Augen offen: »Sie sind also die Mutter von Lars. Sie habe ich mir ja ganz anders vorgestellt.«
Mörlbach, Jedlitschka-Hof, 12 Uhr
Information wird zu Wissen. Wissen wird zu Macht. Vielleicht waren die drei Aluminiumkoffer, die Gabriel Tretjak aus seinem BMW auslud, seine ganze Macht. Es waren stabile Flightcases, die er bei einer Spezialfirma mit dem sinnigen Namen
Don’t panic
hatte anfertigen lassen. Rollen, ausziehbare Griffe, innen unterschiedliche Spezialfächer, außen massive Schlösser. Für genau diesen Fall hatte er die Koffer herstellen lassen, für den Moment, in dem er all sein Wissen in Sicherheit bringen musste. Sämtliche Unterlagen aus seinem Büro, die Festplattenspeicher, der große Rechner, auch die Datenträger von früher, Magnetbänder, Tonkassetten, all das war jetzt in diesen drei kistenartigen Koffern verstaut, die er auf dem betongepflasterten Innenhof der Jedlitschkas nebeneinander abstellte. Er dachte kurz daran, dass sich sein Wissen in der Hauptsache auf Menschen bezog. Dass es aus Dossiers über ihre Vorlieben, Werdegänge und Leidenschaften bestand, über Dinge, die sie getan hatten und von denen andere nichts erfahren sollten.
Es war kurz nach 12 Uhr mittags, die Sonne schien, ein unglaublich blauer Himmel spannte sich über die Landschaft. In München hatte Tretjak den Eindruck gehabt, dass ihn ein Wagen verfolgte. Polizei? Er war den Wagen durch ein Wendemanöver an einer gelben Ampel losgeworden. Die alte Frau Jedlitschka kam langsam über den Hof. Sie schwankte beim Gehen wie ein Schiff, wahrscheinlich wegen der geschwollenen Beine. Sie trug ein blaues Kleid mit einer Knopfleiste vorn, das ein bisschen wie ein Arbeitskittel aussah, und sie hatte ein Geschirrtuch in der Hand, mit dem sie sich den Schweiß von der Stirn wischte.
»Das ist ja vielleicht ein Mai«, sagte sie schon auf halber Strecke, »wie im Hochsommer … Sind das alles Ihre Steuerunterlagen?«
Tretjak hatte ihr gegenüber am Telefon die Steuerprüfung vorgeschoben und gefragt, ob er »nur zur Sicherheit« ein paar Akten vorübergehend bei ihr auf dem Hof deponieren könnte. Das Finanzamt müsse schließlich nicht alles wissen. Frau
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