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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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keine gute Nacht hinter sich.
    Wer es sehen wollte, konnte tatsächlich Parallelen finden in ihren jeweiligen Familiengeschichten. Charlotte Poland und Paul Tretjak fühlten sich beide als Täter: Ihr Versagen in der Erziehung hatte ihre Jungen zu dem gemacht, was sie waren. Und sie fühlten sich beide als Opfer: Die Söhne hatten sich gerächt. Wie sie das getan hatten, hätte jedoch nicht unterschiedlicher sein können. Der kleine Lars versetzte seine Mutter in eine psychische Hölle, in dem er sich zu einer durch und durch unmoralischen und gleichzeitig hochgefährlichen Person entwickelte. Er verwandelte sich in einen Dauervorwurf. Gabriel Tretjak hatte eine direktere Variante der Rache gewählt: Er hatte seinen Vater existentiell vernichtet. Anders konnte man die Sache wohl nicht formulieren.
    An einem Abend am Lago Maggiore, in dem hübschen Örtchen Maccagno, hatte er ihr diese Geschichte erzählt. Sie saßen im Garten eines Ristorante, aßen Nudeln und tranken Wein, viel Wein. Paul nannte das Restaurant »Die Bösen«, nicht aus einem metaphysischen Grund, sondern weil er irgendwann dort nichts zu essen bekommen hatte, geschlossene Gesellschaft oder so etwas. Er liebte das Lokal sehr, und Charlotte Poland inzwischen auch. Man konnte sich bei den »Bösen« wunderbar einbilden, dass eine besondere Stimmung herrschte, da hier nur spezielle, eigenwillige Menschen säßen.
    Paul Tretjak war ein paar Jahre, nachdem er seine Familie in Bozen verlassen hatte, im bayerischen Städtchen Bad Tölz gelandet, etwa achtzig Kilometer von München entfernt. Er hatte einen Gasthof eröffnet mit ein paar Hotelzimmern, mit einem eigenen Forellenteich und einem wunderbaren Blick in die Berge. Nebenan legte er eine Minigolf-Anlage an und einen Tennisplatz. Er engagierte sich, wo er konnte in Bad Tölz, ließ sich sogar in den Stadtrat wählen. Nicht weil ihm das so viel Freude machte, sondern weil ihm bewusst geworden war, dass es in dem Gewerbe nur funktionierte, wenn man im Ort mitmischte, wenn man wusste, was wo und wann lief. In Bozen hatte er sich zu wenig engagiert. Die Überlegung ging auf, der Laden lief. Paul Tretjak hatte eine neue tüchtige Lebensgefährtin, und eine Geliebte gab es auch schon wieder.
    Doch die Idylle brach von einem Tag auf den anderen zusammen, als am 15. September 1990 in einer Münchner Boulevardzeitung die Schlagzeile erschien:
Tölzer Hotelier missbraucht Sechsjährige!
Der Gastwirt Paul T. habe sich an der unschuldigen kleinen Julia sexuell vergangen, die in seinem Hotel mit ihren Eltern abgestiegen war. Darüber hinaus hätten Ermittlungen ergeben, dass er mehrere Bankkonten besitze, über die er vermutlich Waffengeschäfte in Millionenhöhe mit Serbien abwickle, dem Land, in dem er geboren war. Kindersex und Waffengeschäfte – Paul Tretjak musste sein Hotel sofort schließen. Medien und Schaulustige belagerten den Gasthof. Der Bürgermeister kam noch persönlich vorbei, um ihm nahezulegen, sein Stadtratsamt bis auf weiteres ruhen zu lassen. Die meisten anderen redeten gar nicht mehr mit ihm. In dem Bericht war nebenbei auch seine Geliebte erwähnt worden. Seine Lebensgefährtin war sofort ausgezogen.
    Zwei Tage nach der Veröffentlichung stand sein Sohn Gabriel vor der Tür. Er hatte ihn Jahre nicht gesehen, elegant sah er aus, mit Anzug und blankpolierten Lederschuhen. »Ich bin gekommen, um dir einen Vorschlag zu machen«, sagte Gabriel Tretjak. Er legte ein Kuvert auf den Tisch. »Hier drin ist der DNA -Beweis, dass du das Kind missbraucht hast. Und auch die Beweise, dass du tief in den Waffenhandel verstrickt bist. Du kannst sie studieren.«
    In diesem Augenblick, erzählte Paul Charlotte, sei er das einzige Mal wütend geworden: Was redest du da, was für Beweise, ich habe nie irgendwas mit einer Sechsjährigen gehabt, was für ein Wahnsinn, das alles! Waffengeschäfte? Absurd!
    Sein Sohn habe darauf äußerst kühl reagiert: Er könne sicher sein, dass die Beweise absolut wasserdicht seien. Und dann fügte Gabriel hinzu: »Wenn ich mich richtig erinnere, spielte die Wirklichkeit in deinem Leben nie eine besondere Rolle. Was wirklich ist, war dir doch immer egal, oder nicht?«
    Dann kam der Vorschlag: Hier sei der Schlüssel für ein kleines Haus am Lago Maggiore, schön gelegen, per kurzem Fußmarsch zu erreichen, »wird dir gefallen.« Die Miete sei bis zu seinem Lebensende bezahlt. Dazu ein Sparbuch mit ein bisschen Geld. Gabriel Tretjak machte es ihm sehr deutlich: Wenn er

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