Der reiche Mann
Traktor gekauft.«
»Es ist ein amerikanischer. Die sollen die widerstandsfähigsten sein. Der alte war immerzu kaputt. Was trinkst du? Einen Cognac?«
»Nein. Einen Schluck Wein, wenn du mir schon etwas anbietest. Was machst du da gerade?«
»Den Teig für eine ›Quiche lorraine‹.«
Sie wirkte noch sehr frisch und mit ihrem offenen Lächeln trotz ihrer achtunddreißig Jahre fast jugendlich. Verdiente sein Bruder eine Frau wie sie? Hätte sie nicht besser zu ihm selbst gepaßt?
Er hatte ihr natürlich nie den Hof gemacht, aber er betrachtete sie wohlgefällig, während er seinen Wein schlürfte.
»Wie geht’s Vater?«
»Hast du ihn nicht gesehen?«
»Doch. Aber ich habe ihn nicht gefragt, denn dann hätte er mich heruntergeputzt.«
»Es geht ihm gut. Er arbeitet vielleicht etwas langsamer als früher, aber er leistet an einem Tag nicht weniger als ein guter Knecht.«
»Ist er immer noch so redselig?«
»Man könnte die Worte zählen, die er in vierundzwanzig Stunden spricht.«
»Macht er sich sonntags noch immer fein, um seinen Wein im Café zu trinken?«
»Natürlich. Er setzt sich ganz allein in eine Ecke und bestellt einen Schoppen. Er setzt sich nie zu einer Gruppe, er sitzt allein an die Wand gelehnt, blickt um sich und hört mit einem Ohr den Gesprächen der anderen zu. Pünktlich zum Abendessen ist er wieder da, und bevor er sich zu Tisch setzt, zieht er sich um. Übrigens wie geht’s mit dem neuen Mädchen?«
»Jeanne ist mit ihr in die Stadt gefahren, um Kleidungsstücke und Wäsche für sie zu kaufen.«
»Ist sie hübsch?«
»Nein.«
»Dann ist sie bestimmt nichts für dich.«
Er stand im Ruf, ein Schürzenjäger zu sein, und mit fünfzehn war er es wirklich gewesen. Und hatte er in fast dreißig Jahren – und sei es nur einmal – nicht heimlich mit der Hälfte der Frauen von Marsilly geschlafen?
Es war stärker als er. Alle Frauen lockten ihn, vielleicht, weil ihn das beruhigte. Aber wieso beruhigte? Was konnte ihn noch beunruhigen oder quälen?
Wie er einmal eine Bäuerin zu einer anderen hatte sagen hören, war er ›der reiche Mann‹, der reiche Mann im Dorf, und er kaufte weiter Land, sobald welches zu verkaufen war, oder versiegelte Goldstücke in Flaschen.
Er war nicht geizig, aber er hatte das Elend zu genau kennengelernt, um sich nicht davor zu fürchten. Er wollte sich dagegen sichern. Das hatte Jeanne verstanden, und zweifellos half sie ihm deshalb nach Kräften, und wenn er nachts wieder eine Flasche vergrub, hielt sie die Taschenlampe.
Er hätte nicht mehr zu arbeiten brauchen, hätte von seinen Renten, den Einnahmen des Hofs und seiner Äcker leben können.
Doch was hätte er mit seinen Tagen anfangen sollen? Stundenlang bei Mimile Karten spielen und ein Glas Wein nach dem anderen trinken?
Er war wie sein Vater. Er hatte ihm vergeblich angeboten, ihm eine Rente auszusetzen. Der Alte schüttelte den Kopf.
»Ich habe immer gearbeitet, und ich werde weiter arbeiten, bis der Tod mich holt.«
Man versuchte vergeblich, ihm die groben Arbeiten zu ersparen. Es war, als fordere er sich selbst heraus.
In seinem Leben gab es ein kleines Geheimnis. Er war nur sechs Jahre verheiratet gewesen. Mit dreißig Jahren, kurz nach Daniels Geburt, war er Witwer geworden.
Aber soweit Victor zurückdenken konnte, er erinnerte sich an kein einziges Abenteuer seines Vaters. So etwas sprach sich schnell im Dorf herum, und wenn er eine Geliebte gehabt hätte, hätte es bestimmt die ganze Gegend gewußt.
Hielt er seiner Frau über den Tod hinaus die Treue? Vielleicht; Victor glaubte es jedenfalls gern. Er hatte von seiner Mutter nur eine einzige Fotografie im Schlafzimmer des Alten gesehen, eine Aufnahme, die an ihrem Hochzeitstag gemacht worden war. Damals hatten nur wenige einen eigenen Fotoapparat, und man ließ sich nur bei großen Gelegenheiten fotografieren.
Sie trug ein langes Kleid unter ihrem weißen Schleier, und ihr Gesicht hatte einen melancholischen Ausdruck.
Sollte das vornehm wirken, oder hatte sie schon damals, ohne ihr und ihres Mannes Wissen, die Krankheit in sich?
Er wußte nicht einmal genau, woran sie gestorben war. Man hatte ihm damals, weil er noch zu jung war, nichts darüber gesagt. Und später hätte er nicht gewagt, seinen Vater danach zu fragen. Selbst jetzt hätte er nicht den Mut dazu.
Als er zurückkam, stand der Peugeot schon wieder in der Garage. Er ging ins Büro, wo er seine Frau vorfand, die sich umgezogen hatte.
»Das ist ja schnell
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