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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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großes Glas Wein ein und dann ein zweites. Seine Hände zitterten vor Erregung. Er hatte nicht geahnt, daß das so schnell geschehen würde, daß er allein mit Alice im Hause sein würde.
    Wenn seine Frau nur erst fort wäre. Er fürchtete, sie könnte seine Unruhe bemerken, wenn sie sie nicht überhaupt schon bemerkt hatte.
    Sie begegneten Alice, die zu Fuß vom Meer zurückkam.
    »Hast du ihr nichts zu sagen?« fragte er.
    »Sie wird schon wissen, was sie zu tun hat.«
    Sie fuhren weiter. Auf dem Bahnhof ging Jeanne an den Fahrkartenschalter.
    »Du brauchst nicht bis zur Abfahrt des Zuges zu warten.«
    Sie küßte ihn wie immer auf beide Wangen.
    Als er dann zu seinem Wagen gehen wollte, murmelte sie: »Sei vorsichtig, Victor.«
    Für ihn war das wie ein Schlag, zumal sie ihn bei seinem Vornamen nannte und ihre Stimme liebevoll klang.
    Im Grunde liebten sie sich auf ihre Art. Nicht umsonst lebten sie schon so lange zusammen.
    Und sie kannte ihn so genau! Sie fand, er war empfindlich, und er wußte das. Es ärgerte ihn oft, es demütigte ihn. Sie behandelte ihn wie ein großes Kind, das man nicht ganz ernst nehmen konnte.
    Er kehrte in eine Bar ein, um einen Cognac zu trinken, hoffte damit zu erreichen, daß seine Hände nicht mehr zitterten.
    Dann stieg er wieder in seinen Wagen, und wenige Minuten später fuhr er ihn wieder in die Garage. Er sah auf seine Uhr. Der Zug war abgefahren.
    Er ging über den Hof durch die Küche hinein, wo Alice dabei war, Eier zu schlagen. Sie hatte ihr marineblaues Kleid aus- und den kleinkarierten Kittel angezogen.
    »Ist Madame nicht mitgekommen?«
    »Sie ist nach Cholet gerufen worden, wo ihre Schwester im Sterben liegt.«
    Er beobachtete ihre Reaktion. Sie sagte nichts, aber ihm schien, ihr Gesicht wurde etwas ernster. Dann blickte sie ihn an, als ob sie ihm stumm eine Frage stelle.
    »Was kochen Sie zum Abendessen?«
    »Madame hat mir gesagt, ich solle ein Omelett machen. Wie möchten Sie’s? Mit Speck?«
    »Nun gut, mit Speck.«
    Er goß sich zu trinken ein.
    »Wollen Sie auch ein Glas?«
    »Ich trinke nie. Ich mag Wein nicht und Schnaps noch weniger.«
    »Da sind Sie gut dran.«
    Er wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte, ging ins Eßzimmer, dann in den Salon hinauf, wo er seine Jacke im Schlafzimmer ließ.
    Er freute sich nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte, wenn es eines Tages heißen würde, Jeanne sei verreist. Sie würde bestimmt mehrere Tage fortbleiben. Sie hatte versprochen, anzurufen, um ihn auf dem laufenden zu halten.
    Es war ein seltsames Gefühl, allein im Eßzimmer zu sitzen, während Alice ihn bediente. Ihr Gesicht war so ausdruckslos wie immer. Woran dachte sie? Fragte sie sich wie er, was geschehen würde?
    Sie mußte wissen, wie sie auf ihn wirkte. War ihr das gleichgültig? Hatte sie Angst?
    Er aß schnell, während sie an einer Ecke des Küchentischs ihr Abendbrot verzehrte.
    »Haben Sie Angst vor mir, Alice?«
    »Warum sollte ich Angst haben?«
    »Ich weiß nicht. Manchmal sieht es so aus, als ob Sie mir aus dem Weg gingen, und Sie sprechen mit mir nur, wenn es notwendig ist.«
    »Ich bin immer so.«
    Er hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen, aber er wollte es nicht. Er sah fern, während sie den Tisch abräumte und das Geschirr spülte. Eine Viertelstunde später klopfte sie an die Tür und öffnete sie dann einen Spaltbreit, um ihn zu fragen, ob er sie noch brauche.
    »Wenn nicht, gehe ich schlafen.«
    »Ich auch.«
    Er wartete, bis sie im zweiten Stock war, ehe er die Treppe hinaufging und sein Schlafzimmer betrat. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Seine Hände zitterten noch immer, während er sich auszog, seinen Pyjama überstreifte und in seine Pantoffeln schlüpfte.
    Wie leer ihm das Zimmer vorkam! Nie hätte er geglaubt, daß Jeanne eine solche Lücke hinterlassen würde.
    Er legte sich ins Bett und machte das Licht aus. Über seinem Kopf hörte er Alice hin und her gehen und dann das Knarren des Betts, als sie sich ausstreckte.
    Er preßte die Zähne zusammen und sagte zu sich: »Nein! Nein!«
    Ihm war ganz schwindelig. Eine Viertelstunde später knipste er die Nachttischlampe wieder an, stand auf und zog seinen Morgenrock über.
    An der Tür zögerte er noch einmal. Er ging leise hinauf, als ob er sie nicht erschrecken wollte, drehte behutsam den Türknauf, aber sie hatte von innen den Riegel vorgeschoben.
    Er hielt den Atem an, und dann klopfte er. Ein ziemlich langes Schweigen folgte.
    »Wer ist da?« fragte sie

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