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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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fordern.«
    Sie hatte etwas Naives.
    »Sag aber Nenette nur nichts davon; die würde mir das sehr verübeln.«
    Wie anders war das alles als mit Alice! Er war, als ob alle Frauen zugänglich wären und sehr darauf bedacht, es ihm recht zu machen. Nur die kleine Schmutzliese aus Surgères nicht.
    Und wenn er es nun mit ihr trieb? Würde sie sich wehren? Würde sie das Haus verlassen?
    Er öffnete die dritte Flasche, trank ein Glas und legte sich wieder hin.
     
     
    »Was machen wir jetzt?« fragte Jeanne, als sie gefrühstückt hatten.
    »Wir werden irgendwo etwas essen. In Niort! Wir waren schon lange nicht mehr dort.«
    Alice war oben und zog sich für die Messe an. Es regnete nicht mehr, aber es wehte ein heftiger Wind, und das Meer war wild bewegt. Würde sie am Nachmittag wieder am Ufer Spazierengehen?
    Sie trödelten, und es war schon halb elf, als Victor den Peugeot aus der Garage holte. Statt direkt nach Niort zu fahren, machten sie einen langen Umweg über Luçon, Fontenay-le-Comte und Pouzauges.
    Sie fuhren, um sich die Zeit zu vertreiben, weil sie nichts anderes zu tun und sich nichts zu sagen hatten.
    In Niort gingen sie in die Brasserie am Markt, wo sie immer zu Mittag aßen, und Victor bestellte auch wie immer Sauerkraut, während seine Frau sich mit einem Lammkotelett begnügte.
    Es waren noch andere Ehepaare wie sie dort, die sonntags auswärts aßen. Lecoin kam vor allem an den Markttagen, wenn der Schankraum voller Männer war, die saßen und standen, und man die Luft kaum atmen konnte.
    Auf der Rückfahrt machten sie noch andere Umwege, damit der größte Teil des Nachmittags damit hinging. Lecoin wartete immerzu darauf, daß Jeanne von Alice sprach, ihn warnte, aber sie tat nichts dergleichen. Dennoch war ihre Stirn umwölkt. Doch war sie das nicht immer?
    Als sie um fünf Uhr nach Hause kamen, läutete das Telefon im Büro, und Jeanne eilte hin.
    »Hallo!… Ja, hallo! Ich bin’s. Rufst du schon lange an? Das dritte Mal?… Wir waren in Niort… Was sagst du?«
    Sie flüsterte ihrem Mann zu: »Es ist Bernard.«
    Bernard Bertaut, den Hortense, Jeannes ältere Schwester, geheiratet hatte. Sie wohnten in Cholet, im Departement Maine-et-Loire, wo Bertaut eine Weberei besaß. Sie hatten drei erwachsene Kinder. Die eine Tochter war mit einem Pariser verheiratet, der Sohn Andre war in Kanada, wo er beim Rundfunk und Fernsehen tätig war. Nur die jüngere Tochter war noch zu Hause.
    »Bist du sicher? Haben es die Ärzte dir gesagt?«
    Die Stimme brach ihr fast, und sie setzte sich, als ob sie vor Erregung nicht mehr stehen könnte.
    »Ja. Ich komme natürlich… Nein, ich fahre mit dem Zug. Victor könnte den Wagen während meiner Abwesenheit brauchen. Ich glaube, um halb sieben fährt ein Zug… Ja. Bis nachher. Verlier den Mut nicht, Bernard.«
    Er war ein dicker Mann mit einem rosigen und immer lächelnden Gesicht.
    Jeanne brauchte eine Weile, um sich zu fassen.
    »Man hat sie gestern zum drittenmal operiert.«
    Hortense litt an Unterleibskrebs und war in den letzten Jahren schon zweimal operiert worden.
    »Der Krebs scheint sich im ganzen Körper verbreitet zu haben, und die Chirurgen haben nichts weiter mehr tun können, als sie wieder zuzunähen. Sie wird sterben.«
    »Arme Frau.«
    »Ich fahre natürlich hin. Bernard ist völlig gebrochen. Ich habe kaum verstehen können, was er sagte.«
    »Warum nimmst du nicht den Wagen?«
    »Ich habe dir doch schon gesagt, ich weiß nicht, wie lange ich fortbleiben werde. Das hängt von Hortenses Zustand ab. Du könntest das Auto brauchen.«
    Übrigens fuhr sie seit einem wenn auch glimpflich verlaufenen Zusammenstoß, den sie mit einem Autobus gehabt hatte, nicht mehr gern.
    »Ich werde einen kleinen Koffer packen. Würdest du währenddessen im Fahrplan, der auf dem Bücherbrett hinter meinem Schreibtisch liegt, nachsehen, wann der Zug abfährt?«
    Er würde also mit Alice allein im Hause sein. Er konnte es noch gar nicht fassen, wagte nicht, sich zu freuen. Er wußte, was geschehen würde, machte keine Pläne.
    »Um achtzehn Uhr siebenundfünfzig«, sagte er, als er ins Schlafzimmer kam.
    »Ich weiß nicht, warum. Seit heute morgen war es mir, als läge eine Last auf meinen Schultern. Mit anderen Worten, eine Vorahnung. Meine liebe, gute Hortense, die so stolz auf ihre Kinder ist.«
    Sie packte Wäsche, ein Kleid, Schuhe und Toilettengegenstände in den Koffer.
    »Fährst du mich zum Bahnhof?«
    »Natürlich.« Er trug den Koffer hinunter, goß sich ein

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