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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Erregung verraten, als sie ganz leise geflüstert hatte: »Werden Sie mir nicht weh tun?«
    Er goß sich einen zweiten Cognac ein und setzte sich in einen der Sessel im Salon, denn er konnte noch nicht schlafen.
    Nach ihrer Rückkehr würde Jeanne schnell dahinterkommen, was passiert war. Sie brauchte ihn nur anzusehen.
    Würde sie ihm Vorwürfe machen? Oder würde sie so tun, als wisse sie nichts?
    Er erinnerte sich an Theos Grinsen und die Anspielungen, die er gemacht hatte, noch ehe Lecoin wußte, daß Alice eingetroffen war.
    Aber der Klempner hatte nicht vorausgesehen, daß Lecoin sich töricht und naiv in sie verlieben würde. Nenette hatte es begriffen, und sie war nicht entzückt darüber gewesen, so als ob das zu nichts Gutem führen könne.
    Er war fünfundvierzig. Sein Leben lang hatte er hart gearbeitet, und wenn Jeanne ihm auch immer nach Kräften dabei geholfen hatte, Gefühlsbande hatte es nie zwischen ihnen gegeben.
    Wie von Raserei getrieben, war er den Mädchen nachgelaufen, als ob er sich etwas beweisen wollte.
    Sich was beweisen?
    Und nun wußte er endlich, was Liebe ist, oder hatte doch wenigstens etwas erlebt, das der Liebe sehr ähnlich war.
    Er wäre am liebsten wieder hinaufgegangen, nicht um Alice zu umarmen, sondern um mit ihr zu sprechen. Sie sollte es verstehen. Er mußte wissen, daß sie ihn nicht nur ertrug, wie sie den Bauern in Surgères ertragen hatte.
    Er hatte sich vorgestellt, daß nach dem, was gerade geschehen war, er vor Freude außer Rand und Band sein, jedenfalls es genießen würde. Aber im Gegenteil, jetzt fühlte er sich noch gepeinigter als vorher, weil alle möglichen Fragen ihn bedrängten.
    Er hätte sich gern jemandem anvertraut. Wenn seine Frau dagewesen wäre, hätte er vielleicht offen mit ihr gesprochen. Bis jetzt hatte sie ihn immer verstanden. Warum sollte sie ihn nicht weiterhin verstehen?
    Er trank den Cognac aus, stellte die Flasche wieder in den Eckschrank und knipste die Lampe im Salon aus.
    Im Schlafzimmer fühlte er sich verlassener denn je, und er war nahe daran, sich wieder anzuziehen, den Wagen aus der Garage zu holen und nach La Rochelle zu fahren, um Menschen zu sehen und ihre Stimmen zu hören.
    Die Stille im Haus war kaum zu ertragen, aber er ging dann doch schlafen, und es dauerte eine halbe Stunde, bis er einschlief.
    Am nächsten Morgen war Ebbe. An den Muschelbänken würde es wieder viel zu tun geben. Er ging in Arbeitskleidung hinunter und fand Alice in der Küche, wo sie für ihn Kaffee kochte.
    Vergeblich suchte er in ihrem Gesicht oder 4m Ausdruck ihrer Augen einen Widerschein dessen, was am Abend zuvor geschehen war.
    »Haben Sie gut geschlafen?« fragte er sie.
    Er wagte nicht, sie zu duzen, wie er es mit allen Dienstmädchen gemacht hatte, die sie gehabt hatten, obwohl sie die jüngste war.
    Sie nickte.
    »Essen Sie Eier?«
    »Ja, heute weichgekochte.«
    Er traute sich nicht, sie zu küssen. Man hätte ihn übrigens auch vom Hof aus sehen können. Doudou war gewiß irgendwo in der Nähe des Hauses. Sicher wußte Doudou von allem noch mehr als Jeanne.
    Denn ihm blieb nicht nur alles, was im Haus geschah, nicht verborgen, sondern er wußte auch über alles im Dorf Bescheid, und wenn er sich verständlich machen wollte, fand er die ausdrucksvollsten Gesten.
    »Danke, Alice. Bleiben Sie noch einen Augenblick, während ich frühstücke. Ich habe heute nacht kaum geschlafen. Das wird Sie gewiß nicht wundern. Wissen Sie, ich möchte Sie davon überzeugen, daß ich es ehrlich meine. Ich will mir die Gelegenheit nicht zunutze machen. Ich habe in den letzten beiden Wochen versucht, mir das alles aus dem Kopf zu schlagen. Ich bin nach La Rochelle gefahren, um mich zu betrinken und Frauen zu sehen, in der Hoffnung, daß ich dann nicht an Sie denken würde.«
    Vielleicht, aber er war dessen nicht sicher, verzogen sich Alices Lippen zu einem Lächeln.
    »Alles, was ich Ihnen sage, ist wahr. Ich bitte Sie, mir zu glauben, ein ganz klein wenig Zuneigung zu mir zu haben.«
    Sie schwieg. Sie hatte sich nicht gesetzt. Sie stand zwischen dem Tisch und der Küchentür.
    »Sind Sie mir nicht böse? Wirklich nicht?«
    »Ich bin Ihnen nicht böse.«
    Leider fügte sie wie eine banale Feststellung hinzu: »Sie sind eben ein Mann.«
    Das war also alles.
    Ein Mann wie dieses Schwein Paquôt sicherlich. Und hatte er selbst nicht das gleiche getan? Er war sogar noch weiter gegangen.
    Wenn sie ausplaudern würde, was gestern abend passiert war, würde man ihn

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