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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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darauf, sondern fragte: »Hast du ein Mädchen für mich?«
    Sie deutete auf das Mädchen, das gerade heruntergekommen war. »Nein, die denn doch nicht. Da hätte ich das Gefühl, die noch warmen Pantoffeln eines anderen anzuziehen.«
    »Ich werde es versuchen, eine andere zu finden, aber es ist nicht leicht.«
    Sie ging in den Salon hinter, und er hörte, wie sie dreimal telefonierte.
    Bei dem ersten Anruf sagte sie: »Tut mir leid, meine Liebe. Ein andermal. Nein, ich bin dir nicht böse.«
    Beim zweiten meldete sich niemand. Beim dritten schließlich sprach sie ziemlich lange.
    »Nimm dir ein Taxi, du brauchst es nicht zu bezahlen.«
    Als sie sich wieder hinter die Theke stellte, fragte er: »Wer ist es?«
    »Du kennst sie nicht. Sie ist Schneiderin und kommt nur gelegentlich. Diesmal wirst du dich mit einer begnügen müssen.«
    Das war ihm gleich.
    »Du willst doch sicher Champagner?«
    »Ja.«
    Den oder etwas anderes! Er wußte gar nicht mehr, warum er überhaupt gekommen war.
    »Warte einen Moment auf mich. Ich will nur das Zimmer machen.«
    Er deutete auf das Mädchen am Ende der Bar und sagte zu Nenette: »Spendier ihr etwas auf meine Rechnung.«
    Dann wartete er, wobei er in den Regen hinaus starrte. Bald darauf hielt am Bordstein ein Taxi, und eine junge Frau im Regenmantel stieg aus, bezahlte die Fahrt, ging hinein und war überrascht, Nenette nicht zu sehen.
    »Sie ist oben«, sagte er, »wird aber gleich wieder herunterkommen.«
    Sie ahnte, daß er es war, der sie erwartete, und setzte sich auf den Hocker neben ihm.
    »Was trinken Sie?«
    »Einen Pfefferminz mit Wasser.«
    Er ging hinter die Theke und goß ihr das Gewünschte ein, während sie ihm mit einem gewissen Erstaunen zusah.
    »Man sieht, Sie sind ein Stammgast.«
    »Und Sie?«
    »Ich bin erst seit einem Monat in La Rochelle und war bisher nur einmal hier. Ich arbeite.«
    »Ich weiß. Sie sind Schneiderin.«
    »Ich habe in Luçon gewohnt. Mein Mann hat mich verlassen. Ich mußte mir eine nicht zu schwere Arbeit suchen.«
    Nenette kam herunter.
    »Ich sehe, ihr kennt euch schon.«
    Und zu Lecoin: »Sie heißt Helene.«
    Dann zu ihr: »Das ist Monsieur Victor, einer meiner besten Freunde. Er bläst Trübsal. Versuch ihm das auszutreiben. Ihr könnt hinaufgehen, Kinder. Ich bringe euch den Champagner gleich.«
    Die junge Frau wirkte verlegen. Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm unter ihrem Regenmantel, schien gut gebaut zu sein und hatte ein hübsches Gesicht.
    Schließlich gingen sie hintereinander hinauf. Das Zimmer war grau, als wäre der Nebel eingedrungen. Er zog die Vorhänge zu und knipste die Nachttischlampe an.
    Nenette kam gleich nach ihnen und stellte den Champagner und die Gläser auf ein Tischchen.
    »Kommen Sie oft?« fragte sie.
    Ihm fiel auf, daß sie ihn nicht sofort duzte, wie fast alle es taten. Sie zeigte eine gewisse Zurückhaltung, als ob ihr das Ganze etwas peinlich wäre.
    »Das kommt drauf an.«
    »Und lassen Sie immer Champagner kommen?«
    »Ja.«
    »Trinken Sie den besonders gern?«
    »Den oder etwas anderes.«
    »Ich habe schon seit Jahren keinen getrunken. Seit meiner Hochzeit nicht.«
    »Wie lange sind Sie verheiratet?«
    »Drei Jahre. Ich hatte eine Fehlgeburt. Mein Mann hatte eine gute Stellung, aber er hält es nirgends lange aus.
    Als ich eines Tages von meinen Besorgungen nach Hause kam, sah ich, daß seine Sachen nicht mehr in der Wohnung waren. Ich weiß nicht, wo er ist. Er hat nie etwas von sich hören lassen. Jedenfalls hat er Luçon verlassen, und ich vermute, daß er nach Paris gegangen ist. Er hat nämlich immer davon gesprochen. Er schämte sich, in der Provinz zu leben.
    Und Sie? Wohnen Sie in La Rochelle?«
    »Nein. In einem kleinen Dorf, zehn Kilometer von hier. Auf Ihr Wohl!«
    Er trank zwei Glas nacheinander.
    »Wollen Sie sich nicht ausziehen?«
    »Möchten Sie das wirklich?«
    »Warum fragen Sie das?«
    »Weil Sie sich nicht wie ein Mann benehmen, der es treiben möchte.«
    Alle errieten es, selbst diese Frau, die er vor einer Viertelstunde noch nicht gekannt hatte. Ob zu Hause, ob bei Mimile oder hier, es war, als ob ihn alle durch die Lupe betrachteten. Wer würde die wahren Gründe seiner Haltung durchschauen?
    Sie zog sich trotzdem aus. Sie hatte wirklich einen schönen Körper und schneeweiße, sehr weiche Haut.
    »Sind Sie nicht enttäuscht?«
    »Nein.«
    »Ziehen Sie sich nicht aus?«
    »Nein.«
    Er streichelte sie zerstreut, weil er an Alice dachte. Warum war er gerade auf sie aus? Er konnte

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