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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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wußten, daß er in seiner Wut maßlos war. Er selbst auch. Er mißtraute seinem Impuls.
    Mit geballten Fäusten machte er Doudou, der schon auf dem Sprung war, ein Zeichen, ruhig zu bleiben. Wie zu Stein erstarrt stand er da und blickte Theo fest an.
    Erschrocken murmelte der: »Was ich da gesagt habe, weißt du…«
    »Ich kann dir nur raten, den Mund zu halten.«
    Er nahm eine so drohende Haltung ein und konnte sich nur mühsam beherrschen, daß der Klempner klein beigab.
    »Schließlich, Chef, mich geht das nichts an. Jeder amüsiert sich, wie er kann.«
    Es war, als wüßten alle, was in der letzten Nacht geschehen war, und er zürnte ihnen allen, zürnte dem ganzen Dorf, das seine Liebe beschmutzte.
    »Achte nicht auf ihn«, sagte Mimile halblaut, sich über die Theke beugend. »Er ist ein armer Teufel.«
    »Ein armer Teufel, der besser daran täte, den Mund zu halten, wenn er nicht will, daß ich ihm den Hals umdrehe.«
    Er trank seinen Schoppen und beruhigte sich ein wenig, aber seine Nerven waren noch immer gespannt. Als er nach Hause kam, war Alice in der Küche und rührte mit einem Holzlöffel in einem Topf.
    »Ist es schon halb eins?« fragte sie erstaunt.
    »Nein. Zehn nach zwölf. Sie haben noch viel Zeit. Was kochen Sie da?«
    »Ein Lammragout.«
    »Du kannst also kochen?«
    Er hatte aus Versehen du gesagt, und von nun an blieb er dabei. Es war ein kleiner Fortschritt in ihrer Beziehung.
    »Ein bißchen.«
    »Weißt du, Alice…«
    Sie drehte sich zu ihm um, wartete darauf, was nun kommen würde, und er suchte vergeblich nach den Worten, die er ihr gern gesagt hätte.
    »Mein Gefühl für dich ist sehr ernst. Gestern abend hast du mich vielleicht für einen Rohling gehalten.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte so sehr, daß du mich verstehst. Komm, gib mir einen Kuß.«
    Den Holzlöffel in der Hand, kam sie auf ihn zu, streckte ihm ihr Gesicht entgegen, aber ohne den Mund zu öffnen.
    »Wirst du hierbleiben?«
    »Wenn Sie und Madame mich behalten.«
    »Madame hat keinen Grund, dich nicht zu behalten. Es ist nichts zwischen ihr und mir.«
    »Sie ist Ihre Frau.«
    »Auf dem Papier. Wir leben in demselben Hause, schlafen in demselben Zimmer, aber es ist nichts zwischen uns.«
    Sie wandte sich wieder ihrem Ragout zu, und er spürte, er hatte es falsch angefangen. Hatte schon einmal jemand versucht, sie zu verstehen, und ihr echtes Interesse entgegengebracht?
    War es nicht natürlich, daß sie glaubte, Lecoin habe sich nur mit ihr vergnügen wollen?
    »Tut’s noch weh?«
    »Ein wenig.«
    »Das vergeht schnell. Jetzt bist du eine Frau.«
    Im Büro läutete das Telefon. Er ging hin und nahm den Hörer ab.
    »Hier ist Jeanne«, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
    »Ja. Wie geht’s deiner Schwester?«
    »Sehr schlecht. Es gibt nichts mehr, das sie retten oder auch nur ihr Leben ein wenig verlängern könnte. Sie bekommt jetzt Morphium, sowie sie danach verlangt.«
    »Weiß sie, daß sie sterben muß?«
    »Sie ist ganz klar. Heute morgen hat sie zu mir gesagt: ›Daß das nur nicht noch zu lange dauert! Ich würde gern sterben, ohne zuviel zu leiden. Aber mein armer Mann macht mir Sorgen. Er hat noch nie allein gelebt.‹
    Ihre Tochter Jeanine ist aus Paris gekommen. Wir sind fast zu viele, denn sie hat nur ein winziges Zimmer im Krankenhaus. Ich habe auf dem Flur mit dem sie behandelnden Arzt gesprochen.«
    »Was sagt er?«
    »Daß sie nur noch drei oder vier Tage, höchstens eine Woche leben wird. Wenn man einem Kranken so viel Morphium gibt, wie er haben will, ist das ein Zeichen, daß der Tod nahe ist.«
    Jeanne sprach mit müder Stimme.
    »Hast du schlafen können?«
    »Nein. Ich bin bei ihr geblieben. Bernard ist völlig fertig und, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, um zehn Jahre gealtert. Aber wie geht es dir?«
    »Es ist alles wie immer. Ich war heute vormittag wieder bei den Muschelbänken.«
    »Sorgt Alice gut für dich?«
    »Ja.«
    »Was kocht sie dir heute zum Mittagessen?«
    »Lammragout.«
    »In einigen Tagen wirst du zur Beerdigung kommen müssen. Es ist mir schrecklich, das zu sagen, aber man muß den Tatsachen ins Gesicht sehen.«
    »Ich komme natürlich.«
    »Ich werde dich auf dem laufenden halten. Überarbeite dich nicht!«
    Er ging ins Eßzimmer, wo schon für ihn gedeckt war, und Alice erschien sofort, um ihm das Essen zu servieren.
    »War es Madame?«
    »Ihre Schwester liegt im Sterben. In den nächsten Tagen werde ich zum Begräbnis nach Cholet fahren

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