Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
gereichen würden, ganz zu schweigen von all den Anklagen der Scharlatanerie, die unweigerlich vorgebracht werden würden. Er vernahm bereits Gerüchte über Alvin – oder besser gesagt über irgendeinen Schmiedelehrling im Westen, der einen eisernen Pflug in Gold verwandelt hatte. Die Hälfte der Leute, die diese Geschichte erzählten, verdrehte dabei die Augen, als wollte sie sagen: Ja, klar, irgendein Farmersjunge aus dem Westen hat ein Machertalent, ja, das ist sehr wahrscheinlich!
    Manchmal wünschte Calvin, er habe ein anderes Talent. Zum Beispiel wäre er jetzt mit dem einer Fackel zufrieden gewesen. Die Zukunft zu sehen – nun ja, dann hätte er gewußt, welche Immobilien er kaufen oder in welches Schiff er investieren mußte! Aber selbst dann hätte er einen Partner haben müssen, der das Kapital aufbrachte, denn zur Zeit hatte er kein Geld. Und er wollte auch nicht in New Amsterdam herumhängen und reich werden. Er wollte das Machen lernen, oder was auch immer es war, das Napoleon ihm beibringen konnte. Nachdem er sich so hohe Ziele gesteckt hatte, waren die kleinen Geschäftsleute von Manhattan kaum die Partner, die er brauchte.
    Man kann einer Katze auf mehr als nur einer Weise das Fell abziehen, wie das Sprichwort hieß. Wenn er das Geld für seine Reise erster Klasse nicht zusammenbekam, konnte er sich ja vielleicht direkt an die Quelle aller Reisen wenden. Und so ging er eines Tages am Hudson und am East River an den Kais von Manhattan entlang. Das war schon an sich recht unterhaltsam, die langen, schlanken Segelschiffe, die klotzigen Dampfschiffe, die schreienden und stöhnenden und schwitzenden Schauermänner, die schwingenden Kräne, die Taue und Flaschenzüge und Netze, der Gestank nach Fisch und das Geschrei der Möwen. Wer hätte gedacht, als er ein Junge war, der in einer Mühle in Vigor Church herumlümmelte, daß er eines Tages hier am Rand des Landes stehen und die trunken machenden Gerüche und Geräusche und Anblicke des Meereslebens in sich aufnehmen würde?
    Aber es sah Calvin nicht ähnlich, sich in besinnlichen Tagträumen zu verlieren. Er suchte nach dem richtigen Schiff und blieb mehrmals stehen, um den Schauermann eines Schiffes, das gerade beladen wurde, zu fragen, was für ein Ziel es hatte. Diejenigen, die nach Afrika oder Haiti oder dem Orient fuhren, waren für ihn nicht geeignet, aber die mit Zielen in Europa sah er sich gründlich an. Bis er schließlich das richtige fand, ein helles, hochmastiges englisches Schiff mit einem Captain mit einiger Bildung, der niemals die Stimme zu heben schien, wenngleich all seine Männer seinen Willen auszuführen und unter seinen Blicken schwer und hervorragend zu arbeiten schienen. Alles war sauber, und die Fracht schloß Schrankkoffer und Pakete ein, die vorsichtig die Rampe hinauf getragen wurden, statt achtlos hin und her geschmissen zu werden.
    Natürlich hätte der Captain nicht im Traum daran gedacht, mit einem Jungen in Calvins Alter zu sprechen, der Calvins Kleidung trug. Aber es fiel Calvin nicht schwer, sich einen Plan auszudenken, der ihm die Aufmerksamkeit des Captains einbringen würde.
    Er ging zu einem der Schauermänner. »Verzeihung, Sir«, sagte er, »aber auf der anderen Seite des Bootes wird demnächst ein scharfes Leck entstehen.«
    Der Schauermann warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Ich bin kein Matrose.«
    »Ich auch nicht, aber der Captain wird sich dem gegenüber, der ihn auf das Problem aufmerksam macht, wohl dankbar erweisen.«
    »Wie kannst du es denn sehen, wenn es unter Wasser ist?«
    »Ich hab ein Talent für Lecks«, sagte Calvin. »Wenn ich Ihr wäre, würde ich es ihm schnell sagen.«
    Da der Schauermann Amerikaner war – auch wenn er mit starkem holländischem Akzent sprach –, genügte die Erwähnung des Talents. Der Captain würde natürlich gar nicht begeistert sein; er war schließlich Engländer, und die hatten unter dem Protektorat ein Gesetz gegen Talente. Nicht dagegen, sie zu haben, sondern nur dagegen, tatsächlich zu glauben, daß es sie gab, oder sie einzusetzen. Aber der Captain war kein Narr, und er würde jemanden beauftragen, an der bezeichneten Stelle nachzusehen, ob nun ein Talent oder nicht eine Rolle spielte.
    Und so geschah es auch. Der Schauermann sprach mit seinem Vorarbeiter; der Vorarbeiter mit irgendeinem Schiffsoffizier. Jedesmal zeigten sie auf Calvin und schauten zu ihm hinüber, während er unbekümmert vor sich hinpfiff und die Wasserlinie des Schiffs betrachtete. Zu

Weitere Kostenlose Bücher