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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Vorsichtsmaßnahmen, die mit Schlössern an Fenstern und Türen zu tun hatten, Wohnungen, wo du Vorhänge zuzogst oder Lichter brennen ließest. Diese Dinge waren wie Gebete – du verrichtetest sie und hofftest, daß sie dich retteten. Und meistens taten sie es dann auch. Oder etwas anderes rettete dich – du konntest es an der Tatsache ablesen, daß du noch lebtest.
    Aber all das bezog sich nur auf die Nacht und hatte nichts zu tun mit dem Mann, den du liebtest, zumindest nicht bei Tageslicht. Du wolltest, daß es mit diesem Mann gut ging, funktionierte. Funktionieren war auch etwas, was du machtest, um den eigenen Körper in Form zu halten, du machtest Gymnastik für den Körper, wegen des Mannes. Wenn der Körper gut genug funktionierte, würde es mit dem Mann vielleicht auch funktionieren. Vielleicht würde es dir gelingen, daß ihr zueinander paßtet, so als wärt ihr beide zusammen ein Puzzle-Spiel, das man lösen könnte; wenn es nicht gelang, machte sich meist einer von beiden davon, mit größerer Wahrscheinlichkeit der Mann, auf einer eigenen Flugbahn und nahm seinen süchtig machenden Körper einfach mit und ließ dich mit schlimmen Entzugserscheinungen zurück, denen du wiederum mit sportlicher Betätigung begegnen konntest. Wenn es zwischen dir und dem anderen nicht funktionierte, lag das daran, daß einer von euch beiden die falsche Einstellung hatte. Alles, was sich in deinem Leben abspielte, ging, so glaubtest du, auf irgendeine positive oder negative Macht zurück, die im Kopf war und von dort ausströmte.
    Wenn es dir nicht paßt, mußt du es ändern, sagten wir zueinander und zu uns selbst. Und so tauschten wir den Mann gegen einen anderen. Veränderung, davon waren wir überzeugt, war immer Veränderung zum Besseren. Wir waren Revisionisten, und der Gegenstand unserer Revision waren wir selbst.
    Es ist seltsam, sich daran zu erinnern, wie wir damals dachten – so als stünde uns alles zur Verfügung, als gäbe es keine Ungewißheiten, keine Grenzen; als wären wir frei, auf immer und ewig die sich ständig erweiternden Kreise unseres Lebens zu formen und neu zu formen. Ich war auch so. Ich tat das auch. Luke war nicht mein erster Mann, und vielleicht wäre er nicht der letzte gewesen. Wenn er nicht auf diese Weise erstarrt wäre. Plötzlich gestoppt in der Zeit, mitten in der Luft, zwischen den Bäumen dort, damals, im Augenblick des Fallens.
    In früheren Zeiten schickten sie einem ein kleines Paket mit den Habseligkeiten; mit dem, was er bei sich getragen hatte, als er starb. So machten sie es zu Kriegszeiten, sagte meine Mutter. Wie lange wurde von einem erwartet, daß man trauerte? Und wie sagten sie doch? Weihe dein Leben dem Gedenken des Geliebten. Und das war er: der Geliebte. Der, einer.
    Ist, sage ich. Ist, ist, nur drei Buchstaben, du blödes Ding, bringst du es nicht fertig, das zu behalten, so ein kleines Wörtchen?
     
    Ich wische mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Früher hätte ich das nicht getan, aus Angst mich zu verschmieren, aber jetzt ist nichts da, was abfärben könnte. Der Ausdruck, der daraufliegt, welcher es auch sein mag, von mir ungesehen, ist der wirkliche. Ihr werdet mir vergeben müssen. Ich bin ein Flüchtling aus der Vergangenheit, und wie andere Flüchtlinge lasse ich noch einmal die Sitten und Gebräuche des Lebens Revue passieren, das ich hinter mir gelassen habe oder zwangsweise hinter mir ließ, und alles erscheint mir genauso seltsam, von hier aus betrachtet, und ich bin genauso besessen davon. Wie ein Weißrusse, der im zwanzigsten Jahrhundert ausgesetzt, in Paris Tee trinkt, wandere ich zurück, versuche, jene fernen Pfade wiederzugewinnen; ich werde zu sentimental, verliere mich. Weine. Es ist ein Weinen, kein Heulen. Ich sitze auf diesem Stuhl und tropfe wie ein Schwamm.
    Also: Weiter warten. Wie im Wartesaal auf den Zug. Aber das Warten selbst ist zugleich ein Raum: wo immer du wartest. Für mich ist dieses Zimmer das Wartezimmer. Ich bin hier eine Leerstelle, hier, zwischen Klammern. Zwischen anderen Menschen.
     
    Das erwartete Klopfen an meiner Tür. Cora mit dem Tablett. Aber es ist nicht Cora. »Ich habe es dir gebracht«, sagt Serena Joy.
    Und dann schaue ich auf und umher und stehe von meinem Stuhl auf und gehe auf sie zu. Sie hält es in der Hand, einen Polaroidabzug, quadratisch und glänzend. Also stellen sie solche Kameras noch her. Dann gibt es sicher auch noch Familienfotoalben, mit allen Kindern darin – aber nicht mit den Mägden. Aus

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