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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Gesichtern warfen Sachen in die Flammen. Arme voller Seide und Nylon und Synthetikpelze, limonengrün, rot, violett; schwarzer Satin, Goldlamé, glitzerndes Silber; Bikinischlüpfer, durchsichtige Büstenhalter mit aufgenähten rosa Satinherzen, die die Brustwarzen bedecken sollten. Und die Hersteller und Importeure und Geschäftsleute auf den Knien, wie sie in der Öffentlichkeit Reue zeigten, mit komischen Papierhüten wie Narrenkappen auf dem Kopf, auf die in Rot das Wort SCHANDE gedruckt war.
    Aber ein paar Sachen müssen die Verbrennungen überlebt haben, sie konnten unmöglich alles erfaßt haben. Er muß an diesen Fummel auf die gleiche Weise gekommen sein wie an die Zeitschriften, nicht auf ehrlichem Wege: es riecht nach Schwarzmarkt. Und es ist auch nicht neu, es ist schon getragen, der Stoff ist unter den Armen zerknittert und eine Spur fleckig vom Schweiß einer anderen Frau.
    »Ich mußte deine Größe raten«, sagt er. »Ich hoffe, es paßt.«
    »Und du erwartest, daß ich das anziehe?« sage ich. Ich weiß, daß meine Stimme prüde klingt, mißbilligend. Und doch, die Vorstellung hat etwas Reizvolles. Ich habe noch nie etwas angehabt, was dem nur im entferntesten ähnlich gewesen wäre, so glitzernd und theatralisch – und das muß es wohl auch sein, ein ehemaliges Theaterkostüm oder ein Trikot aus einer früheren Nachtclubnummer. Was diesem Ding am nächsten kam, waren Badeanzüge und ein Spitzen-Mieder-Set, pfirsichfarben, das Luke einst für mich kaufte. Trotzdem, es ist etwas Verlockendes daran, es löst die kindliche Lust am Sichverkleiden aus. Und es wäre so auffällig, die reinste Verhöhnung der Tanten, so sündig, so frei. Freiheit ist, wie alles im Leben, relativ.
    »Na«, sage ich, um nicht zu begierig zu erscheinen. Ich möchte, daß er das Gefühl hat, ich täte ihm einen Gefallen. Jetzt kommen wir seinen tiefsten, wahren Sehnsüchten vielleicht ein Stück näher. Hat er hinter der Tür eine Pferdepeitsche versteckt? Wird er Lederstiefel hervorzaubern und sich oder mich über den Schreibtisch legen?
    »Es ist eine Verkleidung«, sagt er. »Du wirst auch dein Gesicht anmalen müssen. Ich habe das Zeug dafür besorgt. Ohne das kommst du nicht rein.«
    »Rein? Wo?« frage ich.
    »Heute abend führe ich dich aus.«
    »Aus?« Das ist ein geradezu archaischer Ausdruck. Bestimmt gibt es doch nichts mehr, wohin ein Mann eine Frau führen, ausführen kann.
    »Fort von hier«, sagt er.
    Ohne daß es mir gesagt wird, weiß ich, daß das, was er vorschlägt, riskant ist, für ihn, aber vor allem für mich; trotzdem möchte ich mitgehen. Ich möchte alles, was die Monotonie durchbricht, die allgemeine, respektable Ordnung der Dinge umstößt.
    Ich sage ihm, ich wolle nicht, daß er zusehe, wenn ich dieses Ding anzöge. Ich bin ihm gegenüber immer noch gehemmt, was meinem Körper angeht. Er sagt, er will sich solange umdrehen, und er tut es auch, und ich ziehe meine Schuhe und Strümpfe und meine baumwollne Unterhose aus und streife mir unter dem Zelt meines Kleides die Federn über. Dann ziehe ich das Kleid aus und schiebe die schmalen paillettenbesetzten Träger über die Schultern. Schuhe sind auch dabei, lila Schuhe mit absurd hohen Absätzen. Nichts paßt richtig; die Schuhe sind ein bißchen zu groß, der Anzug ist in der Taille zu eng, aber es wird gehen.
    »So«, sage ich, und er dreht sich um. Ich komme mir blöde vor; ich würde mich gern in einem Spiegel sehen.
    »Entzückend«, sagt er. »Und jetzt das Gesicht.«
    Er hat nur einen Lippenstift, alt und weich und nach künstlichen Trauben riechend, einen Eyeliner und Wimperntusche. Keinen Lidschatten, kein Rouge. Einen Augenblick lang denke ich, daß ich gar nicht mehr weiß, wie man das alles macht, und mein erster Versuch mit dem Eyeliner hinterläßt ein verschmiertes schwarzes Lid, als wäre ich in einer Schlägerei gewesen; aber ich wische es mit der Salatöl-Handlotion wieder ab und versuche es noch einmal. Ich reibe mir etwas von dem Lippenstift über die Wangenknochen und verteile es. Während ich das alles tue, hält er mir einen großen Handspiegel mit silbernem Rücken vors Gesicht. Ich erkenne ihn, es ist der von Serena Joy. Er muß ihn aus ihrem Zimmer geholt haben.
    Mit meinem Haar ist nichts zu machen.
    »Irre«, sagt er. Inzwischen ist er schon ziemlich aufgeregt; es ist, als zögen wir uns für eine Party an.
    Er geht an den Schrank und nimmt einen Umhang heraus, mit Kapuze. Er ist hellblau, die Farbe der Ehefrauen. Auch

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