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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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aber auch Nachteile, denn wenn eine Station aufflog, wurde die ganze Kette aufgehalten, bis sie mit einem ihrer Kuriere Kontakt aufnehmen konnten, der dann eine Alternativroute erstellen konnte. Sie waren allerdings besser organisiert, als du vermuten würdest. Sie hatten eine Anzahl von nützlichen Stellen unterwandert; eine davon war das Postamt. Sie hatten dort einen Fahrer mit einem von diesen praktischen kleinen Transportern. Über die Brücke und in die eigentliche Stadt gelangte ich in einem Postsack. Das kann ich dir jetzt erzählen, weil sie ihn geschnappt haben, kurz danach. Er endete an der Mauer. Du hörst von diesen Dingen, du hörst eine Menge hier – du wärst überrascht. Die Kommandanten erzählen es uns selbst, ich nehme an, sie denken, warum auch nicht, es gibt niemanden, dem wir es weitersagen können, außer einander, und das zählt nicht.
    Wenn ich das alles so erzähle, klingt es einfach, aber das war es nicht. Ich habe mir die ganze Zeit fast in die Hosen geschissen. Mit das Schwerste war, zu wissen, daß diese anderen Leute ihr Leben für dich riskierten und eigentlich doch gar keine Veranlassung dazu hatten. Aber sie sagten, sie täten es aus religiösen Gründen, und ich solle es nicht persönlich nehmen. Das half ein bißchen. Jeden Abend gab es bei ihnen eine Zeit für stille Gebete. Zuerst konnte ich mich nur schwer daran gewöhnen, weil es mich zu sehr an all den Scheiß im Zentrum erinnerte. Mir wurde richtig übel davon, um die Wahrheit zu sagen. Ich mußte mich verdammt anstrengen, um mir zu sagen, daß das hier ja etwas ganz anderes war. Zuerst konnte ich es nicht ausstehen. Aber ich nehme an, die Beterei hat sie bei der Stange gehalten. Sie wußten mehr oder weniger, was ihnen passieren würde, falls sie geschnappt wurden. Nicht in allen Einzelheiten, aber sie wußten Bescheid. Zu der Zeit wurde manches davon schon im Fernsehen gezeigt, ich meine die Prozesse und so.
    Es war, bevor die Sektenverfolgungen richtig anfingen. Solange man sagte, man sei in irgendeiner Form Christ und man sei verheiratet – allerdings nur, wenn es das erste Mal war –, ließen sie einen noch weitgehend in Frieden. Zuerst konzentrierten sie sich auf die anderen. Und sie brachten sie mehr oder weniger unter Kontrolle, ehe sie sich mit allen anderen beschäftigten.
    Ich war also im Untergrund. Das müssen acht, neun Monate gewesen sein. Ich wurde von einem sicheren Haus zum nächsten gebracht, damals gab es noch mehr davon. Es waren nicht alles Quäker, manche waren nicht einmal religiös. Es waren einfach Leute, denen nicht gefiel, welchen Lauf die Dinge genommen haben.
    Ich hätte es fast nach draußen geschafft. Sie hatten mich schon rauf bis nach Salem gebracht, dann in einem Lastwagen voller Hähnchen nach Maine. Ich mußte fast kotzen von dem Gestank; hast du dir schon einmal vorgestellt, wie es ist, von einer Wagenladung Hähnchen, die allesamt seekrank sind, bekackt zu werden? Sie hatten vor, mich dort über die Grenze zu bringen; nicht mit Auto oder Lastwagen, das war schon zu schwierig, sondern mit dem Schiff, die Küste hinauf. Ich wußte das nicht bis zu der bewußten Nacht. Sie sagten einem nie den nächsten Schritt, bevor es losging. In der Beziehung waren sie sehr vorsichtig.
    Deshalb weiß ich auch nicht, was passiert ist. Vielleicht hatte jemand kalte Füße gekriegt, oder jemand von außerhalb schöpfte Verdacht. Aber vielleicht lag es auch an dem Schiff, vielleicht fanden sie, daß der Typ zu oft nachts mit seinem Boot unterwegs war. Zu der Zeit muß es da oben von Augen gewimmelt haben, und überall sonst nahe der Grenze auch. Was immer geschehen war, sie sammelten uns genau in dem Augenblick auf, als wir aus der Hintertür kamen, um hinunter zum Dock zu gehen. Ich und der Typ, und seine Frau auch. Es war ein älteres Ehepaar, in den Fünfzigern. Er war im Hummergeschäft gewesen, bevor das alles mit der Küstenfischerei passierte. Ich weiß nicht, was danach aus ihnen geworden ist, weil ich in einem gesonderten Wagen transportiert wurde.
    Ich dachte, das dürfte für mich wohl das Ende sein. Oder es ginge zurück ins Zentrum und unter die Fuchtel von Tante Lydia mit ihrem Stahlkabel. Die hat das genossen, was meinst du! Die tat nur so, als hielte sie sich an all das Zeug wie Liebe den Sünder und Hasse die Sünde. Aber die hat das genossen. Ich hab auch daran gedacht, Schluß zu machen, und vielleicht hätte ich es getan, wenn ich irgendeine Möglichkeit gesehen hätte. Aber sie

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