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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Angewohnheit von ihr.
    Ich wußte nicht, daß es das letzte Mal war, denn sonst hätte ich es genauer in Erinnerung behalten. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, was wir sprachen.
    Eine Woche später, zwei Wochen, drei Wochen später, als plötzlich alles so viel schlimmer geworden war, versuchte ich, sie anzurufen. Aber niemand hob ab, und auch, als ich es wieder probierte, hob niemand ab.
    Sie hatte mir nicht gesagt, daß sie wegfahren wollte, aber vielleicht hätte sie das so oder so nicht getan, sie tat es nicht immer. Sie hatte ihr eigenes Auto, und sie war noch nicht zu alt zum Fahren.
    Schließlich bekam ich den Hausverwalter ans Telefon. Er sagte, er habe sie in der letzten Zeit nicht gesehen.
    Ich war beunruhigt. Ich stellte mir vor, daß sie vielleicht einen Herzanfall oder einen Gehirnschlag gehabt hatte – auszuschließen war das nicht, obwohl sie meines Wissens nie krank gewesen war. Sie war immer so gesund. Sie ging nach wie vor zum Konditionstraining im Nautilus und alle vierzehn Tage schwimmen. Ich erzählte meinen Freunden immer, daß sie gesünder sei als ich, und vielleicht stimmte das sogar.
    Luke und ich fuhren hinüber in die Stadt, und Luke drängte den Hausverwalter, die Wohnung zu öffnen. Sie könnte doch tot sein, auf dem Boden liegen, sagte Luke. Je länger man so etwas aufschiebt, um so schlimmer. Haben Sie schon mal an den Geruch gedacht? Der Hausverwalter sprach von einer Genehmigung, die man dazu brauche, aber Luke konnte sehr überzeugend sein. Er machte deutlich, daß wir weder bereit seien zu warten noch fortzugehen. Ich fing an zu weinen. Vielleicht war das der endgültige Auslöser.
    Als der Mann die Tür geöffnet hatte, standen wir vor einem Chaos. Umgeworfene Möbel, aufgeschlitzte Matratzen, Schreibtischschubladen lagen umgekehrt auf dem Fußboden, der Inhalt verstreut, lauter kleine Häufchen. Aber meine Mutter war nicht da.
    Ich rufe die Polizei, sagte ich. Ich hatte aufgehört zu weinen. Mir war eiskalt, von Kopf bis Fuß, meine Zähne klapperten.
    Tu es nicht, sagte Luke.
    Warum nicht? sagte ich. Ich starrte ihn böse an. Jetzt war ich ärgerlich. Er stand da, in dem Trümmerhaufen des Wohnzimmers, und sah mich nur an. Er steckte die Hände in die Taschen, eine der ziellosen Gesten, die Menschen machen, wenn sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen.
    Einfach so: Tu's nicht, sagte er.
     
    Deine Mutter ist prima, sagte Moira oft in der Zeit, als wir im College waren. Später: Sie hat Pep. Noch später: Sie ist süß.
    Sie ist nicht süß, sagte ich dann. Sie ist meine Mutter.
    Herrgott, sagte Moira, du solltest meine mal sehen.
    Ich stelle mir meine Mutter vor, wie sie tödliche Giftstoffe zusammenfegt. So wie man früher alte Frauen aufbrauchte, in Rußland, indem man sie Dreck zusammenkehren ließ. Nur daß dieser Dreck meine Mutter umbringen wird. Ich kann es nicht ganz glauben. Bestimmt werden ihre Selbstsicherheit, ihr Optimismus und ihre Energie, ihr Pep ihr da heraushelfen. Sie wird sich schon etwas einfallen lassen.
    Aber ich weiß, daß das nicht wahr ist. Es ist der übliche Versuch, den Schwarzen Peter den Müttern zuzuschieben, wie Kinder es tun.
    Ich habe schon um sie getrauert. Aber ich werde es wieder tun, immer wieder.
     
    Ich hole mich zurück, hierher, in das Hotel. Hierher, wo ich notgedrungen bin. Jetzt, in dem breiten Spiegel unter dem weißen Licht, nehme ich mich selbst in Augenschein.
    Es ist ein gründlicher Blick, lang und direkt. Ich bin ein Wrack. Die Wimperntusche ist wieder verschmiert, trotz Moiras Reparaturen, der purpurrote Lippenstift hat geblutet, das Haar hängt ziellos. Die sich mausernden rosa Federn sind grell wie Schießbudenfiguren, und einige der Sternchenpailletten sind abgefallen. Wahrscheinlich haben sie schon von Anfang an gefehlt, und ich habe es nur nicht gemerkt. Ich bin eine Karikatur, mit schlechtem Make-up und in den Kleidern einer anderen – benutzter Flitter.
    Ich wünschte, ich hätte eine Zahnbürste.
    Ich könnte hier ewig stehen und darüber nachdenken, aber die Zeit vergeht.
    Ich muß vor Mitternacht zu Hause sein, sonst verwandle ich mich in einen Kürbis, oder war das die Kutsche? Morgen ist die Zeremonie, laut Kalender, also wird Serena wünschen, daß ich heute abend gewartet und gepflegt werde, und wenn ich nicht da bin, wird sie herausfinden, warum, und was dann?
    Und der Kommandant wartet zur Abwechslung einmal. Ich höre, wie er im Zimmer auf und ab geht. Jetzt bleibt er vor der

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