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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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wünscht es sich wirklich, dieses Kind. Ich sehe uns beide, eine blaue Gestalt, eine rote Gestalt, in dem raschen Glasauge des Spiegels, als wir hinuntersteigen. Ich und mein Gegenstück.
    Wir gehen durch die Küche hinaus. Sie ist leer, ein schwaches Nachtlicht brennt; sie hat die Ruhe leerer Küchen bei Nacht. Die Schüsseln auf der Anrichte, die Blechbüchsen und Steingutkrüge zeichnen sich ab, rund und schwer in dem schattigen Licht. Die Messer sind einsortiert in ihren hölzernen Halter.
    »Ich werde nicht mit dir hinausgehen«, flüstert sie. Komisch, sie flüstern zu hören, als wäre sie eine von uns. Normalerweise senken Ehefrauen nicht ihre Stimmen. »Du gehst zur Tür hinaus und wendest dich nach rechts. Da ist eine zweite Tür, sie ist offen. Geh die Treppe hinauf und klopf an, er erwartet dich. Niemand wird dich sehen. Ich werde mich hier hinsetzen.« Sie will also auf mich warten, falls es Schwierigkeiten gibt, falls Cora und Rita aufwachen, wer weiß warum, und aus ihren Zimmern hinter der Küche herauskommen. Was wird sie zu ihnen sagen? Daß sie nicht schlafen konnte? Daß sie etwas heiße Milch trinken wollte? Sie wird geschickt genug sein, gut zu lügen, das kann ich mir schon denken.
    »Der Kommandant ist oben in seinem Schlafzimmer«, sagt sie. »Er wird so spät nicht mehr herunterkommen, das tut er nie.« Glaubt sie.
    Ich öffne die Küchentür, trete hinaus, warte einen Augenblick, bis ich sehen kann. Es ist so lange her, seit ich das letzte Mal bei Nacht allein draußen gewesen bin. Jetzt donnert es, das Gewitter kommt näher. Was hat sie wegen der Wächter unternommen? Ich könnte erschossen werden, als Herumtreiberin. Sie hat sie irgendwie gekauft, hoffe ich, mit Zigaretten, Whiskey, aber vielleicht wissen sie auch Bescheid über ihre Zuchtfarm, vielleicht wird sie es, wenn das jetzt nicht funktioniert, das nächste Mal mit ihnen versuchen.
    Die Tür zur Garage ist nur wenige Schritte entfernt. Ich gehe hinüber, die Füße geräuschlos auf dem Gras, öffne sie rasch und schlüpfe hinein. Die Treppe ist dunkel, so dunkel, daß ich nichts sehe. Ich taste mir meinen Weg nach oben, Stufe um Stufe: hier liegt ein Teppich, ich stelle ihn mir pilzfarben vor. Dies muß einmal eine Wohnung für einen Studenten gewesen sein oder für einen alleinstehenden jungen Berufstätigen. In vielen der großen Häuser hier in der Gegend gab es solche Wohnungen. Junggesellenwohnung, Studio, das waren die Bezeichnungen dafür. Ich freue mich, daß ich mich daran erinnere. Separater Eingang hieß es in den Anzeigen immer, und das bedeutete, daß man unbeobachtet Sex haben konnte.
     
    Ich komme ans obere Ende der Treppe, klopfe an die Tür dort. Er öffnet sie selbst – wen sonst habe ich erwartet? Eine Lampe brennt, nur eine, aber es ist genügend Licht, daß ich blinzeln muß. Ich schaue an ihm vorbei, möchte nicht seinen Augen begegnen. Es ist ein einziger Raum mit einem Klappbett, das aufgeschlagen ist, und einer Küchenbar am anderen Ende und einer zweiten Tür, die zum Badezimmer führen muß. Dieses Zimmer ist karg, militärisch, das Minimum. Kein Bild an der Wand, keine Pflanzen. Er kampiert hier. Die Decke auf dem Bett ist grau, und es steht U.S. darauf.
    Er tritt zurück und beiseite, um mich vorbeizulassen. Er ist in Hemdsärmeln und hält eine angezündete Zigarette in der Hand. Ich rieche den Rauch, an ihm, in der warmen Luft des Zimmers, überall. Ich würde gern meine Kleider ausziehen, darin baden, ihn über meine Haut reiben.
    Keine Präliminarien – er weiß, warum ich hier bin. Er sagt nicht einmal etwas, wozu also lange herummachen, es ist ein Auftrag. Er bewegt sich weg von mir, löscht die Lampe. Draußen blitzt es – wie eine Zeichensetzung. Und dann, fast ohne Pause, der Donner. Er knöpft mein Kleid auf, ein Mann, der aus Dunkelheit besteht. Ich sehe sein Gesicht nicht, und ich kann kaum atmen, kaum mehr stehen, und ich stehe auch nicht mehr. Sein Mund ist auf mir, seine Hände, ich kann es nicht erwarten, und er bewegt sich schon, Liebe, es ist so lange her, ich bin lebendig in meiner Haut, wieder, die Arme um ihn, ich falle, und Wasser sanft überall, nie aufhörend. Ich wußte, daß es vielleicht nur einmal sein würde.
     
    Ich habe das erfunden. So ist es nicht gewesen. Es war so:
    Ich komme ans obere Ende der Treppe, klopfe an die Tür. Er öffnet sie selbst. Eine Lampe brennt – ich blinzele. Ich schaue an seinen Augen vorbei, es ist ein einziger Raum, das Bett ist

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