Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
aufgeschlagen, karg, militärisch. Kein Bild, aber auf der Decke steht U.S. Er ist in Hemdsärmeln, er hält eine Zigarette in der Hand.
    »Hier«, sagt er zu mir, »nimm einen Zug.« Keine Präliminarien – er weiß, warum ich hier bin. Um angebumst zu werden, um in Schwierigkeiten, in andere Umstände zu kommen, damit es mich erwischt – lauter Ausdrücke, die wir früher dafür hatten. Ich nehme die Zigarette von ihm entgegen, mache einen tiefen Zug, reiche sie zurück. Unsere Finger berühren sich kaum. Schon dieses bißchen Rauch macht mich schwindlig.
    Er sagt nichts, sieht mich nur an, ohne ein Lächeln. Es wäre besser, freundlicher, wenn er mich anfassen würde. Ich komme mir dumm und häßlich vor, obwohl ich weiß, daß ich beides nicht bin. Trotzdem, was denkt er, warum sagt er nichts? Vielleicht denkt er, ich hätte herumgehurt bei Jesebel, mit dem Kommandanten oder noch anderen. Es ärgert mich, daß ich mir Sorgen darum mache, was er wohl denkt. Wollen wir doch praktisch sein.
    »Ich habe nicht viel Zeit«, sage ich. Das ist ungeschickt und plump, es ist nicht das, was ich meine.
    »Ich könnte es ja auch in eine Flasche spritzen, und du könntest es dir reingießen«, sagt er. Er lächelt nicht dabei.
    »Kein Grund, brutal zu sein«, sage ich. Möglicherweise fühlt er sich benutzt. Möglicherweise will er etwas von mir, Gefühl, Anerkennung, daß auch er ein Mensch und mehr als nur ein Samenbehälter ist. »Ich weiß, daß es für dich schwer ist«, versuche ich.
    Er zuckt mit den Schultern. »Ich werde dafür bezahlt«, sagt er rüde und säuerlich. Aber noch immer macht er keine Bewegung.
    Geld für Nick, für mich den Fick, reime ich im Kopf. So also wird es laufen. Ihm hat das Make-up nicht gefallen, der Flitter. Wir werden es also auf die harte Tour hinter uns bringen.
    »Kommst du oft hierher?«
    »Und was tut ein nettes Mädchen wie ich in einer Bude wie dieser?« erwidere ich. Wir lächeln beide. Das ist besser. Das ist eine Anerkennung der Tatsache, daß wir beide Theater spielen, denn  was   sonst  sollten  wir  in   solch  einer  Situation  tun?
    »Enthaltsamkeit macht das Herz weicher.« Wir zitieren aus alten Filmen, aus der Zeit davor. Und schon damals waren diese Filme aus einer Zeit davor: diese Art zu reden geht auf eine Zeit zurück, die lange vor unserer lag. Nicht einmal meine Mutter redete so, jedenfalls nicht seit ich mich an sie erinnern kann. Wahrscheinlich hat niemand im wahren Leben je so geredet, es war von Anfang an reine Erfindung. Und doch ist es erstaunlich, wie leicht es einem wieder in den Sinn kommt, dieses sentimentale und künstlich-muntere Sexgeplänkel. Jetzt erkenne ich, wozu es dient, wozu es immer gedient hat: um das Innerste deiner selbst außer Reichweite zu halten, eingeschlossen, geschützt.
    Ich bin jetzt traurig. Die Art, wie wir miteinander sprechen, ist unendlich traurig: verblaßte Musik, verblaßte Papierblumen, abgetragener Satin, das Echo eines Echos. Alles vergangen, nicht mehr möglich. Unvermittelt fange ich an zu weinen.
    Endlich kommt er her, legt die Arme um mich, streichelt meinen Rücken, hält mich so, zum Trost.
    »Komm«, sagt er. »Wir haben nicht viel Zeit.« Den Arm um meine Schultern gelegt, führt er mich zu dem Klappbett, legt mich hin. Er deckt sogar zuerst die Decke auf. Er fängt an, sich aufzuknöpfen, dann mich zu streicheln, er küßt mich hinter das Ohr. »Keine Liebesgeschichte«, sagt er. »Einverstanden?«
    Das hätte früher etwas anderes bedeutet. Früher hätte es bedeutet: Keine Bindung. Jetzt bedeutet es: Keine Heldentaten. Es bedeutet: Riskiere nicht dein Leben für mich, falls es dazu kommen sollte.
    Und so geht es. Und so.
    Ich wußte, daß es vielleicht nur einmal sein würde. Adieu, dachte ich, noch während es dauerte. Adieu.
    Es gab übrigens keinen Donner, den habe ich dazuerfunden. Um die Geräusche zu übertönen, die von mir zu geben ich mich schämte.
     
    Auch so ist es nicht gewesen. Ich bin mir nicht sicher, wie es war; nicht genau. Ich kann nur auf eine Rekonstruktion hoffen: zu beschreiben, wie die Liebe sich anfühlt, ist immer nur eine Annäherung.
    Mittendrin mußte ich an Serena Joy denken, die unten in der Küche saß. Und dachte: Billig. Die machen doch für jeden die Beine breit. Man braucht ihnen nur eine Zigarette zu schenken.
    Und hinterher dachte ich: Das ist ein Verrat. Nicht der Akt selbst, sondern meine Reaktion. Wenn ich ganz bestimmt wüßte, daß er tot ist, würde das

Weitere Kostenlose Bücher