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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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die Farbe müßte besser eingestellt werden. Sie singen: »Komm, o komm zur Urwaldkirche.« O komm, o komm, o komm, singen die Bässe. Serena läßt das Fernsteuergerät klicken. Wellen, farbige Zickzacklinien, Tonsalat: es ist der Satellitensender in Montreal, er ist gestört. Dann sieht man einen Prediger. Ernst, mit glänzenden dunklen Augen beugt er sich über einen Tisch zu uns. Heutzutage sehen sie sehr wie Geschäftsleute aus. Serena gibt ihm ein paar Sekunden, dann klickt sie weiter.
    Mehrere leere Kanäle, dann die Nachrichten. Danach hat sie gesucht. Sie lehnt sich zurück, inhaliert tief. Ich dagegen beuge mich nach vorn, ein Kind, das zusammen mit den Erwachsenen länger als sonst aufbleiben darf. Das ist das einzige Gute an diesen Abenden, den Abenden der Zeremonie: Ich darf die Nachrichten sehen. Das scheint eine unausgesprochene Regel in diesem Haushalt zu sein: wir kommen immer pünktlich, er immer zu spät, und Serena läßt uns immer die Nachrichten sehen.
    Wie dem auch sei: Wer weiß, ob etwas davon wahr ist? Es könnten alte Clips sein, sie könnten gefälscht sein. Aber ich sehe es mir an, in der Hoffnung, zwischen den Zeilen lesen zu können. Nachrichten, einerlei welcher Art, sind besser als gar keine.
    Zuerst die Fronten. In Wirklichkeit gibt es gar keine Fronten: der Krieg scheint an vielen Stellen gleichzeitig stattzufinden.
    Bewaldete Hügel, von oben gesehen, die Bäume ein kränkliches Gelb. Ich wünschte, sie würde die Farbe regulieren. Die Appalachen, sagt die Stimme aus dem Off, wo die Engel der Apokalypse, vierte Division, ein Nest von baptistischen Guerilleros ausräuchern, mit Luftunterstützung des Einundzwanzigsten Bataillons der Engel des Lichts. Wir bekommen zwei Hubschrauber zu sehen, schwarz, mit aufgemalten silbernen Flügeln an den Seiten. Unter ihnen explodiert eine Gruppe von Bäumen.
    Jetzt eine Nahaufnahme von einem Gefangenen mit stoppeligem und schmutzigem Gesicht, der von zwei Engeln in schicken schwarzen Uniformen eskortiert wird. Der Gefangene nimmt von einem der Engel eine Zigarette an, steckt sie mit den zusammengebundenen Händen ungeschickt zwischen die Lippen. Er lächelt ein schiefes kleines Grinsen. Der Sprecher sagt etwas, aber ich höre es nicht: ich sehe dem Mann in die Augen und versuche zu entscheiden, was er wohl denkt. Er weiß, daß die Kamera auf ihn gerichtet ist: Ist das Grinsen ein Zeichen von Trotz, oder ist es Unterwürfigkeit? Ist er verlegen, weil er gefangengenommen worden ist?
    Es werden uns nur Siege gezeigt, nie Niederlagen. Wer will schlechte Nachrichten?
    Möglicherweise ist er Schauspieler.
    Jetzt kommt der Moderator. Er hat eine freundliche, väterliche Art; er schaut uns vom Bildschirm aus an, und mit seinem gebräunten Gesicht und dem weißen Haar, den aufrichtigen Augen und den weisen Fältchen drumherum sieht er aus wie jedermanns idealer Großvater. Was er uns da erzählt – so besagt sein gleichbleibendes Lächeln – ist zu unserem eigenen Besten. Bald wird alles wieder gut. Ich verspreche es. Friede wird herrschen. Ihr müßt nur vertrauen. Ihr müßt jetzt schlafen gehen, wie brave Kinder.
    Er erzählt uns, was wir so gern glauben möchten. Er ist sehr überzeugend.
    Ich kämpfe gegen ihn an. Er sieht aus wie ein alternder Filmstar, sage ich mir, mit falschen Zähnen und geliftetem Gesicht. Gleichzeitig fliege ich ihm zu, wie hypnotisiert. Wenn es nur wahr wäre. Wenn ich nur glauben könnte.
    Jetzt erzählt er uns, daß ein Untergrund-Spionagering aufgeflogen ist, aufgedeckt von einem Team von Augen, die mit einem eingeschleusten Spitzel gearbeitet haben. Der Ring hat wertvollen Nationalbesitz über die Grenze nach Kanada geschmuggelt.
    »Fünf Mitglieder der ketzerischen Quäkersekte wurden verhaftet«, sagt er mit verbindlichem Lächeln. »Weitere Verhaftungen sind zu erwarten.«
    Zwei der Quäker erscheinen auf dem Bildschirm, ein Mann und eine Frau. Sie sehen verängstigt aus, geben sich aber Mühe, vor der Kamera einige Würde zu wahren. Der Mann hat ein großes dunkles Mal auf der Stirn; der Frau ist der Schleier heruntergerissen worden, und ihr Haar fällt ihr strähnig ins Gesicht. Beide sind um die fünfzig.
    Jetzt sehen wir eine Stadt, wieder aus der Luft. Früher war das Detroit. Hinter der Stimme des Nachrichtensprechers hört man das Dröhnen von Artillerie. Rauchsäulen steigen am Horizont empor.
    »Die Umsiedlung der Kinder von Ham wird plangemäß fortgesetzt«, sagt das beruhigende rosa Gesicht, das jetzt

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