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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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heißen?« sage ich. Der Kommandant, es muß der Kommandant sein. Mich sprechen? Was meint er damit? Sprechen? Hat er noch nicht genug von mir?
    »Morgen«, sagt er, kaum hörbar. In dem dunklen Salon gehen wir auseinander, langsam, wie von einer Kraft, von einem Strom zueinandergezogen und gleichzeitig von ebenso starken Händen auseinandergezogen.
    Ich finde die Tür, drehe den Knauf, die Finger auf kühlem Porzellan. Offen. Mir bleibt nichts anderes übrig.
     

VII
Nacht

Kapitel achtzehn
    Immer noch zitternd liege ich im Bett. Wenn man den Rand eines Glases benetzt und mit dem Finger über den Rand fährt, gibt es einen Ton. So fühle ich mich, wie dieser Ton eines Glases. Ich fühle mich wie das Wort zerspringen. Ich möchte mit jemandem Zusammensein.
     
    Im Bett liegen, mit Luke, seine Hand auf meinem gerundeten Bauch. Wir drei im Bett, sie in mir, zappelnd, sich drehend. Ein Gewitter draußen vor dem Fenster, deshalb ist sie wach, sie können hören, sie schlafen, sie können erschrecken, selbst dort drinnen, unter der Beschwichtigung des Herzens, wie Wellen am Strand rings um sie herum. Ein Blitz, ganz dicht, Lukes Augen werden einen winzigen Moment lang weiß.
    Ich habe keine Angst. Wir sind hellwach, jetzt prasselt der Regen, wir werden langsam und vorsichtig sein.
    Wenn ich denken müßte, daß dies nie wieder geschehen kann, würde ich sterben.
    Aber das stimmt nicht, niemand stirbt aus Mangel an Sex. Aus Mangel an Liebe sterben wir. Hier ist niemand, den ich lieben könnte, alle Menschen, die ich lieben könnte, sind tot oder anderswo. Wer weiß, wo sie sind oder wie sie jetzt heißen. Es kann genausogut sein, daß sie nirgendwo sind, so wie ich für sie nirgendwo bin. Ich bin eine vermißte Person.
    Von Zeit zu Zeit sehe ich ihre Gesichter, sehe sie vor der Dunkelheit, flackernd wie Heiligenbilder in alten, fremden Kathedralen im Licht zugiger Kerzen; Kerzen, die man anzündet, um dort zu beten, knieend, die Stirn an das Holzgeländer gelegt, auf eine Antwort hoffend. Ich kann sie heraufbeschwören, aber sie sind nur Trugbilder, sie bleiben nicht. Wer will es mir verübeln, daß ich einen wirklichen Körper möchte, um den ich meine Arme legen kann? Ohne einen solchen Körper bin auch ich körperlos. Ich kann dem Klopfen meines Herzens auf der Matratze lauschen, ich kann mich im Dunkeln selbst streicheln, unter den trockenen weißen Laken, aber ich bin selbst trocken und weiß, hart, körnig; es ist, als ließe ich meine Hand über einen Teller mit getrocknetem Reis gleiten; es ist wie Schnee. Mein Körper hat etwas Totes, etwas Verlassenes. Ich bin wie ein Zimmer, in dem sich einst etwas ereignete und jetzt nichts mehr, außer den Pollen des draußen vor dem Fenster sprießenden Unkrauts, die als Staub über den Fußboden geblasen werden.
     
    Folgendes glaube ich:
    Ich glaube, daß Luke mit dem Gesicht nach unten in einem Dickicht liegt, in einem Gewirr von Adlerfarn, den braunen Farnwedeln des letzten Jahres, unter den grünen, die sich eben entrollt haben, oder vielleicht in kriechendem Schirling – allerdings ist es noch zu früh für die roten Beeren. Was von ihm übrig ist: sein Haar, die Knochen, das karierte Wollhemd, grün und schwarz, der Ledergürtel, die Arbeitsstiefel. Ich weiß genau, was er angehabt hat. Ich sehe seine Kleider vor meinem inneren Auge, leuchtend wie eine Lithografie oder eine bunte Anzeige in einer alten Zeitschrift, nicht jedoch sein Gesicht, jedenfalls nicht so deutlich. Sein Gesicht beginnt zu verblassen, vielleicht weil es nicht immer gleich war: sein Gesicht hatte verschiedene Ausdrucksformen, seine Kleider nicht.
    Ich bete, daß das Loch, oder die zwei, drei Löcher – es fielen mehrere Schüsse, die dicht aufeinander folgten –, ich bete, daß zumindest ein Loch säuberlich, schnell und endgültig im Schädel sitzt, an der Stelle, wo all die Bilder waren, damit es nur diesen einen Blitz gegeben hat, von Dunkelheit oder Schmerz, dumpf, so hoffe ich, wie das Wort Schlag, nur den einen und dann Stille.
    Ich glaube, daß es so war.
    Ich glaube auch, daß Luke aufrecht dasitzt, in einem Rechteck, irgendwo, aus grauem Zement, auf einem Mauervorsprung oder der Kante von irgend etwas, einem Bett oder einem Stuhl. Gott weiß, was er anhat. Gott weiß, in was sie ihn gesteckt haben. Gott ist nicht der einzige, der es weiß, vielleicht gibt es also einen Weg, es herauszufinden. Er hat sich ein Jahr lang nicht rasiert, aber sie haben ihm das Haar kurzgeschoren, immer wenn

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