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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Spaß machen.«
    »Du willst mir das Leben erträglich machen«, sage ich. Es kommt nicht wie eine Frage heraus, sondern platt, wie eine Feststellung, platt und ohne Dimension. Wenn mein Leben erträglich ist, ist vielleicht das, was sie tun, in Ordnung.
    »Ja«, sagt er. »Das will ich. Das wäre mir lieber.«
    »Also gut«, sage ich. Die Situation hat sich verändert. Ich habe jetzt etwas gegen ihn in der Hand. Was ich gegen ihn in der Hand habe, ist die Möglichkeit meines eigenen Todes. Was ich gegen ihn in der Hand habe, ist sein schlechtes Gewissen. Endlich.
    »Was möchtest du haben?« fragt er, immer noch mit jener Leichtigkeit, als ginge es lediglich um eine Geldtransaktion, und dazu eine geringfügige: Süßigkeiten, Zigaretten.
    »Außer Handlotion, meinst du«, sage ich.
    »Außer Handlotion«, stimmt er zu.
    »Ich möchte …« sage ich. »Ich möchte gern wissen.« Es klingt unentschlossen, sogar dumm. Ich sage es, ohne darüber nachgedacht zu haben.
    »Wissen? Was?« fragt er.
    »Was es zu wissen gibt«, sage ich. Aber das ist zu leichtfertig hingesagt. »Was vor sich geht.«
     

XI
Nacht

Kapitel dreißig
    Die Nacht bricht herein. Oder ist hereingebrochen. Wie kommt es, daß die Nacht hereinbricht, statt heraufzusteigen wie die Morgendämmerung? Wenn man bei Sonnenuntergang nach Osten schaut, sieht man, wie die Nacht heraufsteigt und nicht hereinbricht; Dunkelheit, die sich in den Himmel hebt, vom Horizont aufwärts, wie eine schwarze Sonne hinter einer Wolkenbank. Wie Rauch von einem unsichtbaren Feuer, einem Feuerstreifen dicht unter dem Horizont, einem Buschfeuer oder einer brennenden Stadt. Vielleicht bricht die Nacht herein, weil sie schwer ist, ein dichter Vorhang, der vor die Augen gezogen wird. Eine Wolldecke. Ich wünschte, ich könnte in der Dunkelheit sehen, besser als ich es kann.
    Die Nacht ist also hereingebrochen. Ich spüre, wie sie mich niederdrückt. Wie ein Stein. Kein Lüftchen. Ich sitze an dem spaltbreit geöffneten Fenster. Die Gardinen habe ich zur Seite gezogen, denn dort draußen ist niemand – kein Grund, mich zurückzuhalten in meinem Nachthemd, das langärmelig ist, auch im Sommer, um uns vor den Versuchungen unseres eigenen Fleisches zu bewahren, um uns davor zu bewahren, daß wir unsere bloßen Arme um uns selber legen. Nichts regt sich im Suchlicht des Mondlichts. Der Duft vom Garten steigt empor wie Hitze von einem Körper, es muß dort Blumen geben, die in der Nacht blühen, der Duft ist so stark. Ich kann ihn fast sehen, ein rotes Strahlen, das aufwärts wabert wie das Flimmern über Landstraßenasphalt um die Mittagszeit.
    Dort unten auf dem Rasen taucht jemand aus der Pfütze von Dunkelheit unter der Weide auf, geht durch das Licht. Sein langer Schatten heftet sich scharf an seine Fersen. Ist es Nick, oder ist es jemand anders, jemand ohne Bedeutung? Er bleibt stehen, schaut herauf zu diesem Fenster, und ich sehe das weiße Oval seines Gesichts. Nick. Wir sehen einander an. Ich habe keine Rose, die ich ihm hinunterwerfen könnte, er hat keine Laute. Aber es ist der gleiche Hunger.
    Dem ich mich nicht überlassen darf. Ich ziehe die linke Gardine zu, so daß sie zwischen uns fällt, vor mein Gesicht, und einen Augenblick später geht er weiter, in die Unsichtbarkeit jenseits der Ecke.
    Was der Kommandant gesagt hat, stimmt. Eins und eins und eins und eins ist nicht gleich vier. Jedes einzelne bleibt einzigartig, es gibt keinen Weg, sie zusammenzubringen. Man kann sie nicht tauschen, den einen gegen den anderen. Der eine kann den anderen nicht ersetzen. Nick statt Luke oder Luke statt Nick. Sollte paßt nicht.
    Man kann nichts für seine Gefühle, hat Moira einmal gesagt, aber man kann etwas für sein Verhalten.
    Was ja schön und gut ist.
    Der Zusammenhang ist alles – oder ist es das Reifsein? Das eine oder das andere.
     
    In der Nacht, bevor wir das Haus verließen, damals, das letzte Mal, ging ich durch die Zimmer. Nichts war gepackt, denn wir wollten nicht viel mitnehmen. Auch zu diesem Zeitpunkt konnten wir es uns nicht leisten, den geringsten Anschein von Flucht zu erwecken. Ich ging also nur durch die Zimmer, hierhin und dorthin, schaute einzelne Sachen an, schaute an, wie wir uns gemeinsam eingerichtet hatten, für unser Leben. Ich hatte die vage Vorstellung, ich würde später in der Lage sein, mich daran zu erinnern, wie es ausgesehen hatte.
    Luke war im Wohnzimmer. Er legte die Arme um mich. Uns war beiden elend zumute. Wie hätten wir wissen können,

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