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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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daß wir selbst in diesem Augenblick noch glücklich dran waren? Denn wir hatten zumindest dies: Arme, um uns.
    Die Katze, sagte er.
    Katze? sagte ich, in die Wolle seines Pullovers hinein.
    Wir können sie nicht einfach hierlassen.
    Ich hatte nicht an die Katze gedacht. Wir hatten beide nicht an die Katze gedacht. Unser Entschluß war plötzlich gewesen, und dann hatten wir alles planen müssen. Ich werde wohl gedacht haben, sie würde mit uns kommen. Aber das konnte sie nicht – man nimmt keine Katze auf einen Tagesausflug über die Grenze mit.
    Warum nicht draußen? sagte ich. Wir könnten sie einfach dalassen.
    Sie würde um die Wohnung streichen und an der Tür miauen. Man würde merken, daß wir fortgegangen sind.
    Wir könnten sie verschenken, sagte ich. Einem der Nachbarn. Doch schon während ich es sagte, wußte ich, wie töricht das wäre.
    Ich werde mich darum kümmern, sagte Luke. Und weil er darum sagte statt um sie, wußte ich, daß er meinte: Ich werde sie töten. Genau das mußt du tun, bevor du tötest, dachte ich: Du mußt ein es erschaffen, wo es vorher keines gegeben hat. Das tust du zuerst, im Kopf, und dann führst du es aus. So also machen sie es, dachte ich. Anscheinend hatte ich es bis dahin nicht gewußt.
    Luke suchte die Katze, die sich unter dem Bett versteckt hatte. Sie wissen es immer. Er ging mit ihr in die Garage. Ich weiß nicht, was er getan hat, und ich habe ihn auch nie gefragt. Ich saß im Wohnzimmer, die Hände im Schoß gefaltet. Ich hätte hinausgehen sollen, mit ihm, um diese kleine Verantwortung mit ihm zu teilen. Zumindest hätte ich ihn hinterher danach fragen sollen, damit er es nicht allein tragen mußte. Denn dieses kleine Opfer, dieses Auslöschen einer Liebe, wurde auch für mich gebracht.
    Das gehört zu ihren Methoden. Sie zwingen dich, zu töten, etwas in dir selbst.
    Vergeblich, wie sich herausstellte. Ich möchte wissen, wer es gemeldet hat. Es könnte ein Nachbar gewesen sein, der beobachtete, wie am Morgen unser Auto aus der Einfahrt fuhr, der ihnen aus einem Verdacht heraus den Tip gegeben hat – für einen goldenen Stern auf irgend jemandes Liste. Vielleicht ist es sogar der Mann gewesen, der uns die Pässe besorgt hat. Warum sich nicht doppelt bezahlen lassen? Das sähe ihnen ähnlich, selber Paßfälscher einzusetzen, eine Falle für Ahnungslose. Die Augen Gottes sind überall auf Erden.
    Denn sie wußten, daß wir kamen, und warteten schon. Der Augenblick des Verrats ist der schlimmste, der Augenblick, wenn du weißt, ohne jeden Zweifel weißt, daß du verraten worden bist, daß ein anderes menschliches Wesen dir so etwas Schlimmes gewünscht hat.
    Es war, als wäre man in einem Fahrstuhl, ganz oben, und jemand hätte das Seil gekappt. Fallen, fallen, und nicht wissen, wann der Aufprall kommt.
     
    Ich versuche zu zaubern, meine eigenen Geister heraufzubeschwören von dort, wo sie sind. Ich muß mich daran erinnern, wie sie aussehen. Ich versuche, sie festzuhalten hinter meinen Augen, ihre Gesichter, wie Fotos in einem Album. Aber sie wollen nicht stillhalten für mich, sie bewegen sich. Da ist ein Lachen, und schon ist es verschwunden, ihre Gesichtszüge kräuseln sich und biegen sich, als brennte das Papier, als würden sie von der Schwärze verzehrt. Ein kurzer Blick, ein blasser Schimmer in der Luft, ein Glühen, eine Aurora, tanzende Elektronen, dann wieder ein Gesicht, Gesichter. Aber sie entschwinden, obwohl ich die Arme nach ihnen ausstrecke, sie entschlüpfen mir, Geister bei Tagesanbruch. Zurück an den Ort, wo sie waren. Bleibt bei mir, möchte ich rufen. Aber sie tun es nicht.
    Es ist meine Schuld. Ich vergesse zu viel.
     
    Heute abend will ich meine Gebete sprechen.
    Nicht mehr kniend am Fußende des Bettes, die Knie auf dem harten Holzfußboden der Turnhalle, während Tante Elizabeth mit verschränkten Armen an der Doppeltür steht, den Viehtreiberstachelstock am Gürtel, und Tante Lydia die Reihen der in ihren Nachthemden knienden Frauen abschreitet, wobei sie uns leicht auf den Rücken oder die Füße oder den Po oder die Arme schlägt, eine kurze Berührung nur, ein leichter Streich mit ihrem hölzernen Zeigestock, wenn wir krumm sitzen oder erlahmen. Sie wollte, daß wir unsere Köpfe richtig geneigt, unsere Zehen geschlossen und gestreckt, unsere Ellbogen im angemessenen Winkel hielten. Ihr Eifer war zu einem Teil ästhetischer Natur: der Anblick gefiel ihr. Wir sollten angelsächsisch aussehen, wie in Stein gehauen auf einem Grabmal,

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