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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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gesagt, Rechtsanwalt Boumendjel solle nicht fliehen. Nun, er wird nicht mehr fliehen, weil er sich eben umgebracht hat. < Massu hat nur gegrunzt. So war das damals.«
    »Wie kommt da jetzt General de Montagnac ins Spiel?«
    »Der wurde im Herbst 1957 Nachfolger von Aussaresses als Folterer von Algier. Damals war er zwar erst Major, aber er hat wahrscheinlich schon als Kind imposant gewirkt. Sie wissen ja, wie er auftreten konnte. Ich glaube, nachdem er den ersten Streifen am Ärmel hatte, nannten ihn alle in seiner Einheit nur noch >der kleine General Das Wörtchen >klein< haben sie aber schnell fallen lassen. In Algier gab sich der General tagsüber immer brav und bieder und, was um diese Zeit ungewöhnlich war, er saß stets unbewaffnet im Bistro. Man glaubte, er erfüllte beim Amt des Generalgouverneurs eine organisatorische oder politische Aufgabe, darum wurde er zu allen gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen. Deshalb kannte der General auch bald alle wichtigen Algerienfranzosen, darunter auch Maurel. In Wirklichkeit ging es dem General nur darum, die Ohren offen zu halten, um so viel wie möglich zu erfahren. Und das war auch sehr hilfreich.«
    »Was interessierte ihn denn an Maurel?«
    »Seine Beziehung zu Fanon. - Hinzu kommt, dass dessen Familie schon Mitte des 19. Jahrhunderts nach Algerien gekommen war, so dass Maurel alle Welt kannte - algerische Franzosen wie Maghrebiner. Und mit seinem schlohweißen Haar und seiner ruhigen, überlegten Art strahlte er Gelassenheit aus. Es hieß von ihm ja sogar, er wäre einst ein Vertrauter de Gaulies gewesen. Doch dann verwickelte er sich in ein seltsames Spiel. Man kann in Menschen ja nicht hineinschauen, aber wir haben uns manchmal gefragt, ob die Gehirnwäsche der Vietminh doch funktioniert hat. Wir haben ihn jedenfalls zu den Kofferträgern gerechnet. Das hat ihm zwar nie jemand nachweisen können, aber wir gingen davon aus, dass er wahrscheinlich in Frankreich gesammeltes Geld nach Algerien zur FLN geschmuggelt hat. Haben ja viele Linke gemacht.«
    LaBrousse bekam noch jetzt, nach so vielen Jahren, einen roten Kopf vor Zorn.
    »Intellektuelle, mon cul! Vaterlands Verräter! Vielleicht ist ja
    auch seine algerische Freundin dran Schuld gewesen. Kadija, tagsüber brave Krankenschwester, nachts »Gruppenchefin im Widerstand«, sagte er mit Abscheu in der Stimme und fuhr dann wieder ruhiger fort:
    »Doch eines Tages geschah etwas Seltsames. Maurel meldete sich beim General an, kam extra mit seinem Citroen in die Stadt gefahren und erzählte, die Franzosen von Algier hätten einen ungeheuerlichen Plan. Sie wollten sich für die Bombenattentate des algerischen Widerstands rächen. Und weil sie davon ausgingen, dass die Widerständler der FLN immer wieder Unterschlupf fänden im Gewirr der engen Straßen in der Kasbah, dem algerischen Armenviertel, das am Hang liegt, hätten sie beschlossen, einen Konvoi von Tankwagen zusammenzustellen, vielleicht zehn oder zwölf Wagen. Dieser Konvoi sollte am Gipfel des Hügels anhalten, über der Kasbah auf einer breiten Avenue zusammenrücken, und dann sollten die Hähne der Tanks geöffnet werden. Sobald das Benzin, rund zweihunderttausend Liter, den Hügel hinuntergelaufen wäre und die Kasbah überschwemmt hätte, wollten sie es anzünden. Im Feuer wären sechzig- bis siebzigtausend Algerier umgekommen. Kinder, Frauen, Männer.«
    LaBrousse machte eine kleine Pause, als müsste er sich genauer an die Zeit erinnern. Dann sagte er: »Der General hat die Geschichte verhindert. Denn das hätte zu einem Volksaufstand geführt, ganz zu schweigen von den internationalen Protesten. Aber er hat den Algerienfranzosen auch zugeflüstert, wer sie verraten hat. Und die haben sich dann ihrerseits an Maurel gerächt. Sie setzten das Gerücht in die Welt, Frantz Fanon sei aus seinem Exil in Tunis wieder nach Blida zurückgekehrt. Wie Gerüchte so laufen. Und zwar habe Fanon in einem Wald, der zu Maureis riesigem Landbesitz gehörte, ein geheimes FLN-Lazarett aufgebaut. Das klang logisch. Bei Maurel hätte niemand je nachgeschaut. Und die geografische Lage sprach auch dafür, denn sein Land befand
    sich nur vierzig Kilometer von Algier entfernt. Sie haben das Gerücht sehr geschickt lanciert. Die Geschichte kam über einen gefangenen FLN-Mann zu uns, der sie erst unter der Folter preisgab. Ein einfacher Bauer, wahrscheinlich hat er sogar geglaubt, was er uns schließlich unter Qualen erzählt hat. Wir glaubten es jedenfalls. Deshalb sind wir

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