Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
übrigens Lehrer von Frantz Fanon und nicht verwandt mit dem Kommissar aus Fort-de-France, geboren worden war.
Die Ananasfelder wichen den Bananenplantagen, und etwa achthundert Meter vor dem Städtchen führte eine Allee mit alten, hohen Dattelpalmen drei Kilometer bergauf, immer steiler werdend, zu Maureis Habitation Alize. Hinter dem Anwesen erhob sich, weit sichtbar, der Mont Pelee, ein knapp 1400 Meter hoher Vulkan.
Der Name Gilles Maurel hatte Jacques nichts bedeutet, als er ihn in der Niederschrift des abgehörten Telefongesprächs zwischen dem General und LaBrousse gelesen hatte. Bei der Recherche war er dann auf eine nicht gerade ausführliche, aber doch ungewöhnliche Biografie gestoßen. Obwohl Gilles Maurel zu der Kaste der hohen Beamten gehörte, hatte er seine Karriere schon im Alter von sechsundvierzig Jahren aufgegeben, um sich zur Ruhe zu setzen. Das war nur zu verständlich, denn was ihm widerfahren war, hätte auch einen stärkeren Mann gebrochen.
Frankreichs Kolonien waren offenbar sein Schicksal gewesen,
nicht nur Algerien, sondern zunächst war ihm Indochina zum Verhängnis geworden.
Weil er den Ruf hatte, ein behutsamer, aber doch zäher und deshalb sehr erfolgreicher Diplomat zu sein, der sich in Menschen anderer Zivilisationen leicht einfühlen konnte, hatte Premierminister Ren Pleven den in Algerien aufgewachsenen Maurel im Herbst 1951 zum politischen Ratgeber von General de Lattre de Tassigny in Hanoi befördert. Fünf Jahre zuvor hatte der Krieg um Vietnam begonnen.
Jean de Lattre de Tassigny war jener französische General, der in Berlin-Karlshorst mit am Tisch saß, als Hitlers Generalfeldmarschall Keitel die Kapitulation der Wehrmacht unterschrieb und, den Franzosen erblickend, ausrief: »Was, auch die Franzosen sind hier...?«
Mehrere Gründe sprachen für die Ernennung Maureis zum Berater von Lattre de Tassigny: Er kannte die Lage in einer französischen Kolonie aus eigenem Erleben, selbst wenn in Algerien geborene Franzosen den Begriff Kolonie ablehnten, da sie ihr Land als untrennbaren Teil des Vaterlands Frankreich betrachteten. Außerdem hatte Maurel nach dem Lycee, das er als Klassenbester im Baccalaureat abschloss, nicht nur mit genauso hervorragendem Zeugnis die juristische Fakultät in Paris verlassen, sondern aus Interesse am Fernen Osten auch noch nebenher Kurse an der »Langues O«, wie das »Institut national des langues et civilisations orientales« allgemein genannt wird, besucht. Eine altehrwürdige Schule, in der noch immer zwischen Gegnern und Anhängern der Monarchie gestritten wird. Voller Stolz rühmen royalistisch angehauchte Absolventen, dieses Kolleg sei aus dem Mitte des siebzehnten Jahrhunderts eingerichteten Institut Colbert hervorgegangen. Während echte Republikaner und Anhänger der französischen Revolution auf den gesetzlichen Gründungsakt der Schule, der mit dem 10. Germinal im Jahr III angegeben wird, gerechnet nach dem Revolutionskalender, also den 30. März 1795,
verweisen.
Nach seinem ersten Posten an der französischen Botschaft in London, wo Maurel nur deswegen knapp einem Skandal entgeht, weil niemand weiß, wie weit seine Verehrung für eine verheiratete englische Baronesse geht, bezieht er eines der kleinen Büros mit Blick auf den langweiligen Innenhof in der ersten Etage des Quai d'Orsay und heiratet bald darauf Jeanne-Marie de Belcour.
In der Hochzeitsrede erklärt sein Schwiegervater dem aus dem »perfiden Albion« zurückgekehrten Bräutigam, weshalb die Braut einst auf den Namen Jeanne-Marie getauft wurde. Weder Jeanne noch Marie bedürften einer Erläuterung, so der bodenständige Landadelige, beide würden sie gerühmt als Jungfrauen (was Jeanne-Marie längst nicht mehr war, als Gilles sie kennen lernte), doch ihre Jungfräulichkeit sei nicht von bigotter Keuschheit, sondern Ausdruck der Reinheit - und Marie werde schließlich darüber hinaus noch als Schutzpatronin Frankreichs verehrt. All das trage Jeanne-Marie de Belcour als Verpflichtung für das Leben in (und für) Frankreich mit sich. Vive la Patrie!
Jeanne-Marie bringt für Vater Belcour ein wenig zu früh, nämlich sechs Monate nach der Eheschließung, ihren Sohn Eric zur Welt, der ihr einziges Kind bleibt. Gilles macht schnell Karriere, zunächst als persönlicher Referent im Kabinett des Außenministers, ein garantiertes Sprungbrett für schnellen Aufstieg, worum ihn jeder seiner Jahrgangskollegen beneidete, dann geht es ins Ausland.
Nach drei aufeinander
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