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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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hatten sogar einen Treffpunkt, eine Holzhütte in der Nähe des Marktes von Trinite,
    und über dem Eingang war mit Ölfarbe auf ein langes Brett ziemlich dilettantisch gemalt: FLA, Front de la Liberation des Antilles. Die Behörden haben's nicht ernst genommen. Aber Loulou nahm's ernst. Und als die Algerier Mitglieder aller möglichen Befreiungsbewegungen finanzierten und nach Algerien zum Studium des Guerillakampfs einluden, ist Loulou hingefahren. Aber er ist nicht lange geblieben, denn im Wohnheim der Universität musste er sich ein kleines Zimmer mit einem kabylischen Studenten teilen. Und statt Guerillakampf zu lernen, wurden sie zu nachtschlafender Zeit geweckt und mit Bussen aufs Land gefahren, um die dort einst von den Franzosen gepflanzten Rebstöcke auszureißen, weil der Islam Alkohol, also auch Wein, verbietet, und Weizen anzupflanzen. Für eine Revolution sind wir Neger der Antillen zu faul.« Sie gluckste wieder.
    Jacques goss sich noch einen Kaffee ein, aber der war nur noch lauwarm. Nachdenklich schaute er über die Palmenallee hinweg und suchte das Meer. Aber um den Atlantik sehen zu können, war es zu diesig. Er blickte zu Amadee, als sie weitersprach.
    »Aber wenigstens hat Loulou in Algerien nach Spuren von Frantz Fanon gesucht. Und in Joinville hat er dabei einiges über Maurel entdeckt und ist dem natürlich nachgegangen. Maurel war damals schon jedem auf Martinique bekannt. Er behandelte seine Leute gut. Auch sonst war er ein kleiner Wohltäter, ein kleiner, aber gütiger. Zumindest damals. Als Loulou wiederkam, hat er mir erzählt, was er wusste, aber über die Verwicklung von LaBrousse in die Geschichte von Gilles wusste ich nichts. Dass LaBrousse und der Offizier auf dem Foto Kadija, diese algerische Freundin von Gilles, umgebracht haben, musste ich erst mühsam aus Gilles herausquetschen. Er hat ungern von Vergangenem gesprochen. Für ihn hatte in Martinique ein neues Leben begonnen.«
    »Besaß Gilles noch Waffen?«
    »Viele Gewehre. Er ging immer noch gern zur Jagd, am liebsten ganz früh am Morgen und allein. Ich zeig' sie Ihnen.«
    Amadee führte Jacques zu einem flachen Nebengebäude, das früher offensichtlich ein Stall war, jetzt aber mit hohen Fenstern und einer Glastür hell und fröhlich wirkte. An den Wänden hingen von oben bis unten Zeichnungen, kolorierte Kupferstiche, Aquarelle von exotischen Vögeln, daneben mit Stecknadeln befestigte Skizzen. In einem Regal stapelten sich Bildbände, und auf mehreren Zeichentischen lagen Pinsel und Farbkästen, so als wäre der Künstler nur eben für einen Augenblick herausgegangen.
    Amadee öffnete eine Holztür und führte ihn in einen Nebenraum, in dem eine gewaltige, moderne Handpresse stand und an der Wand ein schwerer, mit Querträgern verschlossener Stahlschrank.
    »Ich muss eben mal die Schlüssel holen«, sagte sie schnell und rannte davon.
    Jacques trat zurück in den Zeichenraum und sah sich die Arbeiten an. Die gerahmten Bilder waren auch mit G.M. signiert. Neben der Eingangstür hing ein kleines, noch sehr einfach gezeichnetes Aquarell, auf dem Jacques Maureis Herrenhaus in Algerien wieder zu erkennen meinte. Zumindest ähnelte es dem Haus, das auf dem Foto mit LaBrousse und dem General im Hintergrund zu sehen war. Auf dem Zeichentisch entdeckte Jacques ein sehr großes Blatt Papier, vielleicht 120 cm breit und 100 cm hoch, es wirkte wie handgeschöpft. Ein fein kolorierter Kupferdruck.
    Ein gewaltig erscheinender, seltsamer schwarzer Vogel, den der Maler nicht wie üblich von der Seite, sondern eher von unten und von schräg hinten gemalt hatte, so als habe er über den linken Flügel nach vorn und hinauf in einen Baum geschaut, füllte das Blatt fast über den geprägten Rand hinweg. Das Tier vergräbt seinen Kopf tief in das düstere Gefieder, das große,
    katzenartige Auge blickt kalt über den hochgezogenen Flügel auf den Betrachter nieder. Aschgraue Flecken verschwimmen unter dem Auge und auf den langen Federn des Schwanzes. Er sieht dich an, als hättest du Böses getan und als wüsste nur er es, dachte Jacques.
    Ihn schauderte, aber er beugte sich doch näher über das Blatt und staunte, so präzise saß jeder Strich, so kunstvoll war die Führung des Farbpinsels. Und wieder erinnerte ihn das Bild an Audubon, doch dessen Vögel waren für die Wissenschaft bestimmte, präzise Darstellungen der Natur, dieses Tier indessen strahlte mystische Kräfte aus. Die Arbeit war vollendet, unten rechts trug sie die Initialen

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