Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
noch lebenden Hummer legte und mit der Machete in der Mitte
durchteilte. Weitere Gäste trafen ein, fast alles gut gekleidete Kreolen. Eine lustige Gruppe junger Frauen quetschte sich auf die Bänke um einen Tisch, und er hätte Amadee vielleicht übersehen, wenn sie nicht plötzlich auf ihn zugekommen wäre und sich ihm gegenüber an seinen Tisch gesetzt hätte.
»Oh, Monsieur le juge war heute am Strand.«
»Schön, Sie zu sehen. Essen Sie hier...«, er machte eine kleine Pause, ehe er hinzufügte: »... mit mir?«
Amadee schaute ihn erstaunt an.
»So munter kenne ich Sie ja gar nicht. Danke, falls das eine Einladung sein sollte. Aber ich bin mit meinen Freundinnen hier. Wer hat Ihnen den Tipp gegeben, hier Hummer zu essen?«
»Das war Zufall. Ich bin vorbeigefahren und hatte Durst - und Hunger.«
»Ich muss gleich wieder rüber. Aber ich möchte Sie zu einem Ti Punch einladen.«
Amadee winkte Medouze herbei und fragte sie fast flüsternd: »Hast du noch einen Trois Rivieres?«
»Ja. Zwei. Oder für euch alle?«
Medouze schaute hinüber zu dem Frauentisch. »Nein, nein, nur für uns beide.«
Amadee stand auf, ging um den Tisch herum, setzte sich neben ihn, legte ihre warme Hand auf seine linke Schulter und raunte ihm, als gehe es um eine Verschwörung, ins Ohr, dies sei ein besonderer Rum aus reinem Zuckerrohr, nicht aus Melasse, es sei einer, der mindestens zwanzig Jahre im Fass gereift sei, und er habe 82 Prozent. Den könne man in keinem Geschäft kaufen, die wenigen Flaschen würden auf der Insel nur unter der Hand vergeben an gute Bekannte. Sie lachte und sah ihn an, als lüfte sie ein streng gehütetes Geheimnis. Die Geschichte von Trois Rivieres gehe zurück auf Nicolas Fouquet, sagte sie, den wahnsinnigen Superintendenten von Louis Quatorze, der davon
geträumt habe, Vize-König der Antillen zu werden, und sich deshalb 1660 selbst eine Rum-Konzession für zweitausend Hektar zwischen Le Diamant und Sainte Luce an der Südküste zugeteilt habe. Dort habe er jedoch nie gelebt, da er Opfer seines Größenwahns geworden sei. Louis Quatorze habe ihn entmachten und die Konzession aufteilen lassen, doch die Destille Trois Rivieres bestehe immer noch.
Sie nahm ihre Hand erst zurück, als Medouze mit den beiden Gläsern kam und sie auf den Tisch stellte. Amadee hob ihren Ti Punch fast feierlich, stieß mit ihm an und nippte.
»Nur Mut! Versuchen Sie mal. Einmalig.« Und sie nippte noch einmal.
Jacques griff nach dem Glas, tippte den Rand des ihren an und schmeckte den Rum, wiegte den Kopf und machte ein zustimmendes Geräusch.
»Nun?«
Amadee sah ihn fragend an. Ihr ärmelloses Kleid aus Madrastuch mit dem tiefen Ausschnitt verwirrte ihn, er wagte es nicht, sie so zu mustern, wie ihm zu Mute war.
Er nahm noch einen Schluck, lächelte, schaute ihr in die Augen und sagte: »Wollen Sie mich wirklich allein essen besuchen.«
Amadee ergriff seine Hand. »Ihr Hummer liegt schon auf dem Grill, und ich muss zu meinen Freundinnen. Kommen Sie mich doch besuchen.«
»Wann? Sie haben ja noch nicht mal Telefon. Am Wochenende?« »Nein, wir feiern morgen Hochzeit.«
Sie beugte sich zu ihm und zeigte mit dem linken Arm auf eine junge Frau in einem grünen Kleid, die auf der Mitte der Bank saß.
»Jojo. Sie ist die Tochter einer Tante. Und das Fest geht bis
Sonntagabend. Montag bin ich wieder auf Alize, falls Sie noch hier sind.«
»Montag komme ich vorbei. Gegen Mittag oder Nachmittag. Passt Ihnen wenig »Ich freue mich.«
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Fast auf den Mundwinkel, sagte sich Jacques und schaute ihr ein wenig sehnsüchtig nach. Nun war es entschieden. Er würde bleiben, und während er den saftigen Hummer aß, beschloss er, Cesaire zu verzeihen. Der Mann hatte ja Recht, Wochenende ist Wochenende, und manche zahlen viel Geld dafür, ein paar Tage in der Karibik zu verbringen. Ein bisschen Schwimmen, ein bisschen dösen und träumen. Und morgen vielleicht nur Faktor acht. Jetzt war er ja nicht mehr ganz bleich. Medouze brachte ihm noch einen Trois Rivieres, und als er ging, winkte er hinüber an den Tisch der Freundinnen. Er freute sich auf den Montag, auf Amadee.
Schwarzer Montag
Marie Gastaud, die Gerichtspräsidentin von Creteil, war eine korpulente, resolute Frau, deren weiße Dauerwelle leicht bläulich gefärbt und jeden Tag wie neu betoniert aussah. Solange die ihr zugeordneten Richter keine Fehler machten, deckte sie deren Arbeit gegen jegliche Einmischung, wenn sie aber Fehler
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