Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
machten, dann nahm sie die erst einmal selbst unter die Lupe. Sie gab sich unabhängig - sowohl von Politik als auch von Kumpanei.
Am Montag gegen 13.45 Uhr erhielt sie einen Anruf aus dem Kabinett des Justizministers, woraufhin sie ihre Sekretärin anwies, eine Verbindung zu Jacques Ricou herzustellen. Die kam zustande, als Jacques gerade aus der Dusche trat. Auf Martinique war es kurz vor acht Uhr früh.
»Jacques«, sagte die Gerichtspräsidentin, »ich habe gerade eben einen Anruf aus dem Ministerium erhalten. Eine Nachrichtenagentur meldet, Sie seien unter dem Vorwand, nach dem Mörder des Generals zu suchen, auf ein privates Wochenende nach Martinique gefahren. Wie weit sind Sie?«
»Wer hat das verbreitet? Das ist Verleumdung«, explodierte Jacques und fühlte sich hilflos in seiner Wut. »Gibt das Ministerium eine Stellungnahme ab?«
»Nein. Und das Gericht auch nicht. Noch nicht. Am besten nehmen Sie das nächste Flugzeug zurück. Geht das?«
»Ich habe heute noch Zeugen zu vernehmen. Ich komme sobald wie möglich. Ist eine Quelle in der Meldung angegeben?«
»Angeblich steht es in >France-Antilles<.« »Die besorge ich mir gleich«, sagte Jacques, »ich melde mich noch mal«, und legte auf. Er wählte den Empfang, es meldete
sich niemand, wahrscheinlich streikte das Hotelpersonal noch. Jacques zog sich schnell an, um die Zeitung zu kaufen. Unten traf er den Hotelbesitzer, der auf seine Frage nur vor sich hin murrte, es sei heute keine Zeitung erschienen. Auch dort streike man.
Wieder auf seinem Zimmer, rief er Martine im Büro an, die ihn beruhigte. Im Gericht wisse niemand von der Meldung, sagte sie, und sie habe den Eindruck, hier rege sich darüber niemand auf. Als Jacques sie bat, einen Rückflug für Dienstagnachmittag zu buchen, klingelte sein Handy. Martine rief nur noch in den Hörer, er solle ihre Mail lesen, darin stünden alle Rechercheergebnisse. Im Display sah er, dass Margaux anrief.
»Margaux, Liebe, was machst du?«, fragte er liebenswürdig kühl.
»Viel zu tun, hast du schon von der Meldung gehört?«
»Ja, Gastaud hat mich schon angerufen. Ich komme morgen zurück.«
»Hast du Ärger?«
»Ich hoffe nicht. Aber ich glaube, es hat sich gelohnt.«
»Klang auch spannend, was du geschrieben hast. Wann kommst du an, soll ich dich abholen?«
»Martine macht die Reservierung. Ich mail dir die Ankunftszeit. Aber ich nehme ein Taxi, denn das wird ja irgendwann morgens um sechs sein oder noch früher. Zumindest das kann das Gericht mir für allen unnötigen Arger bezahlen.«
»Wie ist das Wetter, schön warm?«
»Herrlich. Und bei dir?«
»Immer noch unter Null.«
»Ich bring ein paar Grad mit.«
»Großen Kuss«, verabschiedete sich Margaux. Früher hatte Jacques geglaubt, das wäre ein Zeichen von Zuneigung, aber
inzwischen sagte sie zu jedem, der ihr auch nur ein wenig näher stand, grand bisou. Jede Frau sagt das zu jedem, den sie mag.
Im Frühstückszimmer standen Thermo skannen mit Kaffee und Croissants. Er nahm sich eine Kanne und zwei Croissants und setzte sich ans Fenster, mit Blick zum Meer. Er nahm es nicht wahr. Sein Kopf befand sich so sehr in Paris, dass er fast gefroren hätte. Wahrscheinlich steckte Loulou hinter der Meldung.
Um zehn rief er Cesaire an.
»Jaja, komm mal vorbei, vielleicht in einer Stunde? Dann werde ich wohl alles zusammenhaben. Salut!«
Es wurde ein wenig später. Als Jacques seinen Wagen starten wollte, fiel ihm ein, dass er Martines Mail nicht gelesen hatte. Er sprang wieder aus dem Sitz, schlug die Tür zu und rannte auf sein Zimmer. Und dann fluchte er, weil es so lange dauerte, bis das Programm seines Laptops hochgefahren war. Beim raschen Überfliegen der langen Nachricht machte er bestätigende Geräusche, las den Text noch einmal gründlich, um jedes Detail aufzunehmen, und machte sich Notizen, fluchte wieder, weil er hier keinen Drucker hatte, und schrieb das Wichtigste mit seinem Bleistift in ein Moleskine, ein kleines schwarzes Notizbuch, das Margaux ihm einmal geschenkt hatte. Sie hatte dazu gesagt: ein gleiches habe schon Proust benutzt. Und van Gogh, Matisse, sogar Hemingway.
Auf dem Weg zur Polizeistation wurde er von einer Demonstration aufgehalten, und bis er bei Cesaire klopfte, war es fast zwölf. Um midi würde der Kommissar wahrscheinlich essen gehen, fürchtete er, als niemand antwortete. Er öffnete die Tür vorsichtig. Cesaire hielt den Telefonhörer am Ohr, winkte Jacques trotzdem, hereinzukommen und sich zu setzen.
Weitere Kostenlose Bücher