Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
trennte und auf den Tisch an der Wand zusteuerte. De Mangeville, alter Burgunder Adel, dessen Vorväter schon mit Philippe le Bei gegen Flandern gekämpft hatten, gehörte zur Nachwuchsriege der LER, pflegte seinen hervorragenden Ruf als sauberer Politiker, der penibel darauf achtete, zumindest nach außen alle Regeln einzuhalten. Als Herausgeber vom »Bien public« in Dijon, der ältesten Tageszeitung Frankreichs, hatte er sich über den Gemeinderat und die Nationalversammlung in den Senat hochgedient. Nebenbei baute er seine Hausmacht aus und ließ sich zum Präsidenten des Conseil General des Departements de la Cote d'Or im Burgund wählen. Der Senator begegnete dem Richter stets mit Achtung, doch heute beugte er sich nach einem kurzen Gruß und einem ehrfürchtig wirkenden Kopfnicken zu Margaux, die ein wenig ungeschickt versuchte, sich zu erheben, und gab ihr eine Bise rechts und links auf die Wangen.
»Ma chere, wie schön, Sie wieder zu sehen, was macht die Arbeit?« »Es geht voran.«
»Kommen Sie weiter? Wenn nicht, dann rufen Sie mich an, vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
De Mangeville berührte ganz kurz mit den Fingern Margauxs Hand, die auf dem Tisch lag, nickte Jacques wieder zu und schritt zu seinem Tisch. Jacques schwieg. Mirgaux schwieg. Patrick räumte die Teller ab und goss den Rest aus der Flasche Bordeaux - er hatte sich heute zu einem »Figeac« hinreißen lassen - in die Gläser.
»Einen Kaffee?«
Jacques schaute Margaux an, sie nickte.
»Zwei.«
Er war sich nicht ganz sicher, ob sie rot geworden war, aber dazu war sie wohl schon zu lange Journalistin. Er atmete durch, holte zweimal tief Luft, bevor er sagte: »Hast du gemerkt, er hat den gleichen Satz benutzt wie Jean Louis.«
»Was meinst du?«
»Kommst du weiter? Wenn nicht, ruf mich an, vielleicht kann ich dir helfen.«
»Das ist der Satz von Jean Louis. Mangeville hat gefragt: >Kommen Sie weiter?<«
»Wenn jeder die Geschichte schon kennt, fühle ich mich ausgeschlossen, wenn du mich nicht wenigstens ein bisschen einweihst. Ich mach' schon nichts.«
Sie trank ihr Glas leer, Patrick brachte den Espresso, zwei kleine Gläser und eine Flasche eisgekühlten >Limoncello Cilento antico< und sagte mit einer knappen Bewegung seines zu Margaux gewendeten Oberkörpers: »Pour Madame!«
»Merci.«
Inzwischen war es elf Uhr, die Stunde des Abends, an dem sich im »Chez Edgar« klirrende Gläser und Kaffeetassen, Rufe von Tisch zu Tisch und fröhliches Gelächter zu einer entspannten Atmosphäre mischten.
»Du schwörst mir, nichts zu unternehmen?« Jacques nickte. »Ich werd auch den Namen nicht sagen. Es geht um eine
Person der Opposition, die zu denen gehört, die sich für die nächste Wahl aufbauen. Diese Person hat vor Urzeiten mit geerbtem Geld eine billige Schlossruine in Burgund gekauft und mit abenteuerlichen finanziellen Konstruktionen auf Kosten des Staates restauriert.«
»Da ist doch nichts dabei, das macht doch jeder.«
»Nicht ganz. Diese Person hatte vor Jahren, als ihre Partei mit an der Macht war, für einige Zeit einen wichtigen Posten im Sozialministerium und wurde in dieser Funktion gleichzeitig Geschäftsführer eines wichtigen Vereins für Altenfürsorge. Mit den Geldern dieses Altenvereins hat sie ein großes Grundstück gekauft, um zu verhindern, dass die Sicht vor ihrem Schloss verbaut werden könnte. Das ist der grobe Kern der Geschichte, aber ich habe sie noch nicht ganz in trockenen Tüchern.«
»Und wieso kennt Mangeville den Fall?«
»Bei dem habe ich recherchiert. Er hat ein Interesse daran, dass die Person, um die es geht, ihm politisch nicht in die Quere kommt.«
Jacques wechselte urplötzlich das Thema: »Was macht denn eigentlich die Amnestie?«
»Da fummeln sie noch dran rum. Ich habe aber ein schönes Gerücht gehört: Der Justizminister wird eine ordentliche Amnestie vorlegen und davon alle Delikte ausschließen, die mit der Finanzierung von Parteien und mit Korruption zu tun haben. Aber die Abgeordneten könnten den Gesetzesentwurf in diesem Punkt von sich aus verändern - und damit auch all die Vorwürfe, die gegen den Präsidenten erhoben werden, unter die Amnestie fallen lassen. Damit wäre die Regierung fein raus; denn was kann die dafür, wenn das Parlament so eine großzügige Amnestie beschließt.«
Margaux machte eine Pause, goss sich einen Limoncello ein, blickte Jacques kurz an, der schüttelte den Kopf und steckte den Korken wieder auf den Flaschenhals. Dann nippte sie an
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