Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
als Jacques, trotz seiner vierundsechzig Jahre aber durchtrainiert und so lebendig, als wäre er fünfzehn Jahre jünger. Jacques und der Kommissar hatten sich beim Skifahren in Meribel kennen gelernt und waren, während sich ihre Frauen für den Apres-Ski zurechtmachten, so manche schwarze Piste um die Wette heruntergefahren. Die Frauen hatten dann auch in Paris Treffen arrangiert, doch als Jacques sich von Jacqueline scheiden ließ, reduzierte sich die Bekanntschaft zu Jean Mahon bald nur noch auf den Beruf. Das Vertrauen aber und die Vertrautheit zwischen Jean, dem Kommissar, und Jacques, dem Richter, waren geblieben.
»Ich meine einen Selbstmord wie den von Boulin.«
»O la la. Und du ertränkst dich in einer fünfzig Zentimeter tiefen Pfütze?«
»Man kann nie vorsichtig genug sein. Ein Clochard, der in meiner Straße wohnte, hat nachts beobachtet, wie zwei Männer im Keller an meinem Telefonkasten rumgefummelt haben. Und als sie ihn entdeckten, haben sie in totgeschlagen.«
»Woher weißt du das?«
»Er war nicht gleich tot.«
»Und was hast du im Telefonkasten gefunden?«
»Ich habe noch nicht nachgesehen, weil ich keine Zeit hatte.
Ich habe es gerade vor einer guten halben Stunde erfahren. Außerdem gehe ich da lieber mit einem Fachmann runter. Aber lass uns später darüber sprechen. Ich würde gern zuerst einmal den Bericht über meine Ermittlung auf Martinique loswerden.«
Kommissar Mahon interessierte sich besonders für die Person des Bananenpflanzers Victor LaBrousse, der Geldbote des Generals.
»Hast du dessen Gewehre auch untersuchen lassen?« fragte er.
»Nein«, antwortete Jacques, »hältst du das für sinnvoll?«
»Der würde mir mehr Kummer machen als der tote Gilles Maurel. Kannst du mir einen Beschluss ausstellen? Dann kümmere ich mich drum. Kann ja nicht schaden.«
»Das haben wir schnell gemacht.«
Jacques klappte seinen eleganten Aktenkoffer auf, ein Geschenk von Jacqueline, holte ein Formular heraus, füllte es aus, unterschrieb es und drückte sogar den richtigen Stempel drauf.
Mahon lachte erstaunt.
»Ich habe ja viel von dir erwartet, aber nicht, dass du selbst in deinem Köfferchen alles bereit hältst, um das Verbrechen zu bekämpfen!«
»Hör auf! Geht ihr Bullen nicht auch immer mit 'ner Knarre ins Bett?«
»Au, der Herr ist sensibel! Warte einen Moment, ich veranlasse, dass Fort-de-France sich darum kümmert.«
Als der Kommissar nach zehn Minuten wiederkam, begannen sie den Fall Stück für Stück durchzusprechen, stellten fest, wo noch ermittelt werden könnte und ob sie vielleicht etwas übersehen hätten. Um zwei gingen sie kurz in die Kantine, aßen Steak-Frites, goldgelb die Pommes, so wie Jacques sie liebte, und jeder leistete sich ein Viertel Roten. Dann liefen sie, tief in die Analyse verstrickt, am linken Seine-Ufer hinunter bis zum
Pont du Louvre.
Erstens, so rekapitulierten sie, wussten sie nicht, wer den General und sein System der Parteienfinanzierung verpfiffen hatte. Der General war nun - zweitens - ermordet worden. Einige kleine Fälle waren zwar abgetrennt worden, weil sich nachweisen ließ, welche Baufirmen an wen direkt gezahlt hatten. Aber die großen Millionensummen waren in einem intelligenten System gewaschen worden, so dass - drittens kein wirklich wichtiger Politiker belangt werden konnte. Es sei denn, so Jacques, er würde den Präsidenten als ehemaligen Parteichef der LER vernehmen. Der könnte nämlich das Zeugnisverweigerungsrecht nicht in Anspruch nehmen ohne das Eingeständnis, dass er sich durch seine Aussage selber belasten würde. Und dann hätte der Richter wenigstens einen Verantwortlichen an der Angel. Würde der Präsident aber aussagen, dann könnte er sich bemühen, einen Sündenbock zu präsentieren. Auch besser als nichts. Denn falls der Sündenbock nicht mitspielte, müsste er auspacken.
»Und den Sündenbock findet der Präsident im General, der tot ist, und damit ist der Präsident fein raus.«
»Nein«, sagte Jacques, »wir können ja nachweisen, dass der General Millionen an die Partei weitergeleitet hat.«
»Aber das zu einer Zeit, als es noch nicht das strenge Parteienfinanzierungsgesetz gab.«
»Aber im System der falschen Rechnungen liegen genügend Untreue-Tatbestände.«
»Welche Chancen hast du«, fragte Jean Mahon, »den Fall sauber abzuschließen? Du findest den Mörder des Generals. Das hat aber nur einen Sinn, wenn du dessen Motiv oder aber den Auftraggeber kennst und alles beweisen kannst. Sonst
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