Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
Vom Netzwerk:
hier?«
    Der Uhu schüttelte den Kopf und kniff listig die Äuglein zusammen. »Das ist alles wegen der armen Lütten von nebenan, stimmt’s? Was habt ihr damit zu tun?«
    »Mensch, Uhu«, stöhnte Max, »ich kannte die nicht mal.«
    »Du vielleicht nicht.« Uhu stieß Max zufrieden den ausgestreckten Zeigefinger auf die Brust – endlich auf heißer Spur. »Ich schon. Nastja Kirjakowa. Bildhübsche Deern, schade drum!«
    »Okay. Oleg war ein paar Mal mit ihr um die Häuser. Das hat seine Mutter auch der Kripo erzählt. Jetzt bist du ja im Bilde, Uhu.«
    »Das wusste ich doch auch! Hätten die Bullen gleich mich fragen können. Aber bitte, wenn die sich zu fein sind…«
    Noch nachträglich beleidigt zuckte der Uhu mit den Achseln. Max musterte das graue Männchen nachdenklich.
    »Jetzt frag’ ich dich was, Uhu: War das mit Nastja und Oleg was Ernstes?«
    Uhu tippte sich amüsiert an die Stirn. »Was Ernstes? Bei Oleg? Hey, du kennst ihn doch! Hier rummachen, da rummachen…« Er wurde wieder ernst. »Er hat ihr einen Job vermittelt. Wie den anderen auch.«
    »Welche anderen?«
    »Drei, vier Mädels aus der Siedlung. Die hübschesten Dinger vom Born! Oleg ist mit ihnen auf’n Zwutsch gegangen, und dann hatten die plötzlich gutbezahlte Jobs in so ’nem Nobelclub und sind bald weggezogen. Hab’ läuten hören, Oleg hat dafür Provision gekriegt. Bei dem läuft doch nie was ohne Amore und ohne Geschäft. Na ja, auf die Art hat er beides!«
    »Seit wann läuft das?«
    Uhu zuckte wieder mit den Achseln. »Paar Monate…«
    Max wusste nicht, was ihn mehr aus der Fassung brachte: Die Information, dass Oleg eine Art Mädchenhandel betreiben sollte – oder dass er selbst bislang so blind für die schrägen Aktivitäten seines Freundes gewesen war. Was ist bloß los, Harder, zweifelte er an sich selbst, merkst du überhaupt noch was?
    »Na gut. Ist ja seine Sache«, kommentierte er lahm. »Ich geh’ dann mal rauf.«
    »Man sieht sich«, stellte der Uhu trocken fest und verschwand wieder in seinem Glaskasten.
    »Es ist so schrecklich…« Sonja Wolffs Stimme zitterte, gepresst vor Angst. Angst um den Sohn. Angst vor der Möglichkeit, dass alles vergeblich gewesen sein könnte: Die Übersiedlung nach Deutschland, die Trennung vom ständig besoffenen Ehemann, unzählige geschrubbte Flure, Büros, Toiletten. Kein eigenes Leben. Eine kleine Frau mit zerfurchtem Gesicht und Händen, die nicht verbargen, was sie geleistet hatten. Die ganze Plackerei nur für den Sohn, der es besser haben sollte. Und der es immer besser hatte. Bis jetzt.
    »Du weißt wirklich nicht, wo Oleg jetzt ist, Tante Sonja?« Für den kleinen Max war Olegs herzliche, kinderliebende Mutter früher ganz schnell »Tante Sonja« gewesen. Dabei war es geblieben.
    Sie schüttelte den Kopf. »Hoffentlich hat er sich gut versteckt!«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, er hat das Mädchen ermordet und ihr noch den Kopf abgehackt«, wunderte sich Max.
    Sonja Wolff sah ihn an, als wäre er ein selten dämliches Schaf. »Wo ich herkomme, kommt es nicht darauf an, was man selbst von einer Sache hält – es kommt nur darauf an, was die Polizei davon hält! Und glaube mir, Maxi, das ist im Grunde überall so. Besser, Oleg bleibt weg, bis alles geklärt ist!«
    Darauf fiel Max keine Antwort ein. Möglicherweise hatte Tante Sonja sogar Recht. Und bei allem, was er selber zuletzt über den Freund erfahren hatte, war es vielleicht wirklich besser, Oleg hielte eine Weile den Kopf unten. So gesehen, wäre es nicht unwahrscheinlich, dass Oleg absichtlich abgetaucht sein könnte. Wäre da nicht sein Hilferuf aus dem Hirschpark gewesen, von dem Max der Mutter seines Freundes lieber nichts erzählen wollte. Sie war auch so schon verängstigt genug.
    »Du hast also keine Ahnung, was Oleg damit zu tun haben könnte.«
    Sie machte dicht. »Gar keine Ahnung.«
    »Wofür brauchte er das Geld, das er von dir geliehen hat?« klopfte Max auf den Busch. Tante Sonja wirkte prompt verunsichert.
    »Ich habe ihm nichts geliehen…«
    »Aber er wollte es?«
    Sonja Wolff zögerte und gewann damit Zeit, indem sie sich umständlich Tee aus dem silbernen Samowar nachfüllte – erst den dunklen Sud aus dem Kännchen, dann heißes Wasser aus dem Hahn. Der Samowar, ein Erbstück und eines der wenigen Dinge, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hatte, war das einzig wertvolle Stück in der ganzen Wohnung, Max vertraut seit früher Kindheit. Das glänzend polierte, holzkohlebeheizte Ding mit

Weitere Kostenlose Bücher