Der Rikschamann
– sogar Hamid verlässt irgendwann mal seine Werkstatt. Vielleicht auch nur, um irgendwo Essen zu gehen – schließlich ist Mittag. Sein eigener Magen knurrte auch schon, aber der musste warten.
Probeweise rüttelte er an der Flügeltür. Abgeschlossen. Zu hören war auch nichts, nicht einmal das alte Transistorradio, was Max als todsicheres Indiz für Hamids Abwesenheit wertete. Eine bessere Gelegenheit, sich ungestört in der Werkstatt umzusehen, gäbe es kaum wieder. Wenn er denn hinein käme.
Auf der Rückseite der Baracke stand eine verwitterte Fensterklappe offen. Das Toilettenfenster. Max langte hinein und bekam einen altmodischen Riegel zu fassen, löste ihn und schob den schmalen Fensterflügel auf. Kein komfortabler Einstieg, aber auch kein Problem für einen schlanken, jungen Mann. Bis jetzt lief alles noch ganz harmlos. Bis jetzt ließe sich alles mit einem flotten Spruch erklären. Hey Alter, wollte nur nachgucken, ob du da drin im Koma liegst. Oder so. Max peilte in alle Richtungen. Kein Hamid und auch sonst kein Mensch zu sehen. Und niemand sah ihn. Einmal kurz am Fensterrahmen hochgezogen, ein kleiner Schwung – schon stand er neben der Kloschüssel, schob den Fensterflügel hinter sich zu und sah sich um. Uralt-Sanitärinstallationen, aber penibelst sauber, wie alles bei Hamid. Alles perfekt bis zur Ersatz-Klorolle und einer Ersatz-Ersatz-Klorolle. Fehlten bloß noch gehäkelte Schonbezüge auf der WC-Brille.
Wonach er genau Ausschau hielt, war Max nicht bewusst. Klar war allerdings, dass sich des Rätsels Lösung wohl eher nicht auf der Toilette fände. Vorsichtig betrat Max die eigentliche Werkstatt. Es fiel genug Licht durch die kleinen Fenster. Er konnte die Neonleuchten ausgeschaltet lassen. Der schrottige Renault stand noch an Ort und Stelle, die Räder mittlerweile wieder montiert und offenbar abholfertig. Hamids aktuelles Projekt lag, säuberlich in Einzelteile zerlegt und auf einem ölverschmierten Geschirrtuch ausgebreitet, auf der Werkbank: Ein Vespa-Motor. Das antriebslose Fahrgestell des Rollers stand daneben. Die Ecke, aus der gestern früh noch die goldenen Sportfelgen des abgedeckten Cabrios gefunkelt hatten, war dagegen jetzt leer. Aber das hatte er erwartet – schließlich war ihm das Fahrzeug ja gerade erst begegnet. Max stellte sich genau auf den leeren Platz. Neben ihm lag in einem kleinen Regal die Plane, mit der das Cabrio abgedeckt gewesen war. Exakt Ecke auf Ecke zusammengelegt. Wenn Hamid mal bei Max und Oleg einbrechen würde, müsste ihn angesichts der dort üblichen Unordnung auf der Stelle der Schlag treffen. Obwohl Max schon ahnte, dass er die Plane nie im Leben wieder so genau zusammenfalten könnte, schlug er sie auseinander. Das hätte er sich sparen können: Eine Plane, nichts weiter. Keine goldenen Felgenabdrucke oder flammende Schriftzüge wie »Hier stand das Auto von: Name / Adresse«.
In der ganzen Werkstatt gab es keinen Hinweis auf das Cabrio, vergewisserte sich Max sehr bald. Wenn überhaupt, fand sich vielleicht etwas in dem winzigen Büro. Es war durch eine dünne Sperrholzwand vom Rest der Werkstatt abgeteilt und besaß nicht einmal eine eigene Tür. Dafür aber einen Schreibtisch mit einem betagten PC, den Max kurzentschlossen anschaltete. Und es gab zwei offene Wandregale, in denen perfekt beschriftete Aktenordner in geordneter Front einen weiteren Nachweis für Hamids Ordnungsliebe lieferten. Ein Auftragsbuch, überlegte Max. Wer alle möglichen Belege abheftet, müsste doch auch irgendwo vermerken, wann welche Arbeit ausgeführt wird – und für wen! Während der PC hochfuhr, ging er rasch die Regale durch, leider vergeblich. Also setzte er sich vor den Monitor, der als Desktop-Hintergrund ein Heile-Welt-Alpenpanorama geladen hatte. Im Vordergrund prangte zwischen Hirtenhund und Almkühen ein Spruch in Riesenbuchstaben: »WENN DIE WUNDE GEHEILT IST, SCHWIRREN DIE FLIEGEN AB.« Auf ein Passwort hatte Hamid verzichtet, seine Dateien ließen sich ungehindert öffnen. Dass sie auch keiner Verschlüsselung bedurften, erkannte Max bei der Durchsicht schnell. Alles harmlose Werkstatt-Korrespondenz, Bestellungen für Ersatzteile und dergleichen. Die E-Mail-Ordner wiesen keine Einträge auf, wahrscheinlich löschte Hamid sie täglich – was bei seinem Aufräumfimmel nicht weiter verdächtig erschien.
Blieb als letzte Chance der Schreibtisch.
Auch in diesem Büromöbel herrschte Ordnung. Gestapelte Papiere, Formulare, Schreibutensilien. Max wollte
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