Der Ring
McKissic!“
„Ich bin Odysseus“, sagte er. „Dem Wissen zieh’ ich hinterher gleich einem Stern, der sinkt, noch jenseits fernster Bande menschlichen Gedankens.“
„Mister McKissic! Bitte lassen Sie sich von mir ins Krankenhaus fahren!“
Er stieg aus und blieb neben dem Wagen stehen, so daß sie auf den Fahrersitz rücken konnte. Das Bedienungssystem des Duowagens war ihr nicht vertraut, aber in einem derartigen Notfall wurde sie mit dem großen Wagen fertig. Es gab keine andere Möglichkeit.
McKissic blieb draußen. „Dies ist mein Sohn, mein eig’ner Telemach, dem ich das Szepter und die Insel laß’, so sehr geliebt von mir …“
„Bitte, Mister McKissic!“ Sie stieg selbst aus und versuchte ihn um den Wagen herum zu dem Sitz zu führen, den sie vorher eingenommen hatte. „Bitte steigen Sie ein. Ich verstehe nicht, was Sie sagen.“
Er legte seinen schweren Arm um sie. „Du und ich sind alt. Doch auch das Alter hat noch seine Ehren, hat seine Plackerei.“
Alice zog an ihm, doch statt dessen ging er mit großen Schritten in den Park hinein, fort von dem erleuchteten Parkplatz. „Oh meine Freunde kommt! ‘s ist nicht zu spät, sich aufzumachen nach einer Welt, die jünger ist.“
Sie stolperte, als sie ihm zu folgen versuchte. Der Ring warnte sie davor, sich den Gefahren auszusetzen, die, wie sie wußte, im Dunkel lauerten. McKissic marschierte weiter auf seiner Suche nach Seeabenteuern.
In den Büschen sah sie Hai-ähnliche Gesichter auftauchen. Es waren unbekannte Gesichter, aber der Ausdruck auf ihnen war ihr bekannt. Wieder anderes Raubgesindel – gewalttätige Jugendliche wie diejenigen, die vor nicht allzu langer Zeit in diesem selben Park Jeff angegriffen hatten.
Das Glitzern einer Waffe. Grausame Augen verfolgten McKissics Weg, gierige Hände erhoben sich, während Alice sich zu dem Wagen zurückzog. Sie war weder imstande, ihm zu helfen, noch konnte sie ihm die Gefahr begreiflich machen.
VIII. Gerecht und doch so ungerecht
1
Jeff stieg zum zweiten Mal über die Mauer der McKissic-Besitzung – aber jetzt war er nicht allein, und nach Pamela suchte er ebenfalls nicht. Es war dunkel und recht kalt in der Stille des frühen Morgens. Aber er war nicht allein und hatte Selbstvertrauen.
Nach ihm kam Flachkopf, dieses hirnlos belebte, menschenähnliche Wesen, loyal nur dem Gesetz des Messers gegenüber, da aber restlos loyal. Er sollte den Rückzug decken.
Nach Flachkopf kam diese Frau, Annie. Jeff half ihr, sich auf die flache Mauerkrone zu ziehen. Er sog ihren Körperduft ein und wunderte sich wieder darüber, daß dieses Produkt der Elendsviertel gleichzeitig so sauber und so fraulich war. Sie war, genau genommen, eine Konkubine, die in wilder Ehe mit einem brutalen Halb-Alkoholiker lebte. Von den sogenannten Annehmlichkeiten der Zivilisation im einundzwanzigsten Jahrhundert verstand sie nichts – doch sie blieb so sanft, ein Mensch so voller Verständnis für andere Menschen. Sie war ebenfalls loyal – ihrem Mann gegenüber. Sie gehörte in guten und schlechten Tagen zu Ed Bladderwart, ohne zu klagen.
Sie zu sehen, unansehnlich und nicht gerade intelligent, aber in ihrem selbstgewählten Bereich fähig – sie nur wenige Stunden eines ereignisreichen Abends zu sehen und kennenzulernen –, dies hatte ihn klüger gemacht. Ihm war keine Entscheidung bewußt, aber jetzt wußte er, welche Art Frau er für sich selbst wollte.
Kleiderschrank Ed kam als letzter nach oben. Er schnaufte laut. Faßbauchig, von ruppigen Manieren, langsam im Denken und ständiger Pechrabe, war er doch ein ganzer Mann. An ihm war nichts Abwegiges, kein selbstgefälliger Schaum. Sein Ja bedeutete Ja, sein Nein war ein Nein. So weit seine Lebenszusammenhänge es erlaubten, war Kleiderschrank Ed ein ehrlicher Mann.
Jeff machte sich nicht vor, daß menschliche Werte etwa nur in Gunnardorf zu finden seien, oder daß dort oder sonstwo wahre Menschlichkeit in der Überzahl sein müßte; aber jetzt wußte er über intellektuelle Vermutungen hinaus, daß es sie gab. Eben dies hatte Alice ihm gesagt, aber er hatte nur die Grausamkeit gesehen: ganz offen im Park, heimlich auf der Mittelklasse-Party, vom Gesetz gedeckt bei den Reichen und Mächtigen. Er hatte gesehen, was er zu sehen bereit gewesen war; jetzt, mit seiner stärkeren Einsicht in die Beschaffenheit der Unterklasse, war er bereit, anderes zu sehen.
Jeff zeigte den Weg, und Ed nickte. Diesmal waren sie mit metallischen Waffen gekommen, denn
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